HAVE A BRIGHT FUTURE
Dr. Pero Mićić hat schon viele Unternehmen am Weg zur Digitalisierung begleitet. Im Interview ging er auf das für ihn so wesentliche Führungswerkzeug „Zukunftsbild“ ein.
Zukunftsfähige Skills & Strategien
Welche Skills muss Ihrer Meinung nach eine Führungskraft von heute besitzen, um Mitarbeiter zukunftsweisend zu führen?
Es sind viele Skills nötig für zukunftsweisende Führung. In dem besonderen Kontext meines Vortrages bedeutet zukunftsweisende Führung, dass man als Leader ein Zukunftsbild im Kopf haben sollte, zu dem man die Mitarbeitenden hinführt. Das Zukunftsbild ist aus meiner Sicht die einzige Aufgabe, die man als Leader nicht delegieren kann. Das Zukunftsbild besteht aus einem äußeren Teil und einem inneren Teil. Das äußere Zukunftsbild enthält die Zukunftsannahmen über die Entwicklung und Veränderung des Umfelds, genauer gesagt des Marktes. Es geht um Zukunftsannahmen, auf denen in der Regel strategische Entscheidungen beruhen. Und es geht um mögliche Überraschungen, auf die man sich einstellen und vorbereiten muss. Das innere Zukunftsbild besteht unter anderem aus der Mission, also dem grundlegenden Zweck und Auftrag des Unternehmens. Zudem braucht ein Unternehmen eine klare Positionierung, mit der es aus Sicht der Kunden ein einzigartig positives Angebot hat. Und schließlich die Vision, die beschreibt, welche Zukunft man gemeinsam verwirklichen will, was man gemeinsam erreichen will. Idealerweise gibt es auch ein Zukunftsbild der zu erstrebenden Kultur der Zusammenarbeit und natürlich des zukünftigen Geschäftsmodells.
Welchen groben Fahrplan empfehlen Sie Unternehmen, wie sie sich selbst und ihre Mitarbeiter auf die neue KI-Welt einstimmen können?
Der erste Schritt muss sein, mit dem Team eine klare, motivierende, sinnstiftende Mission zu entwickeln. In der Mission muss klar werden, für welche Ziel-Kunden man arbeitet, welche Wirkung und welchen Nutzen man ihnen verspricht und mit welchen Lösungen diese Wirkung grundsätzlich erzielt wird. Zu einer professionellen Mission gehört auch der gesellschaftliche Beitrag, den man mit seinem Unternehmen über den Kundennutzen hinaus leistet. Wirklich vollständig wird eine Mission, wenn sie auch den Antrieb beschreibt, aus dem heraus man das Unternehmen und das Geschäft überhaupt betreibt. Das ist die Energie, die die Menschen im Unternehmen antreibt. Eine Positionierung, die das Unternehmen und das Angebot einzigartig macht, ist der zweite Schritt. Erst dann kommt die Frage, wie man Technologien aller Art nutzen kann, um diese fokussierte Mission mit hohem Kundennutzen zu geringen Kosten sowie in sozial und ökologisch nachhaltiger Weise zu erfüllen.
Sie vertreten die These, dass Unternehmen bei der Digitalisierung versagen, weil sie falsche Annahmen über die Zukunft treffen. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Jede strategische Entscheidung im Unternehmen basiert auf Zukunftsannahmen. Wer also glaubt, dass man die Zukunft nicht einschätzen muss, weil man sie nicht einschätzen kann, liegt falsch. Denn mit jeder Einstellung oder Entlassung einer Mitarbeiterin, mit jedem Einstieg in ein neues Geschäftsfeld oder jedem Ausstieg, mit jeder Anschaffung von Software oder Hardware wetten Sie auf einen bestimmten Ausgang der Zukunft. Wenn sich die Annahmen falsch erweisen, erweist sich meistens auch die Entscheidung als falsch. Es geht nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, weil das niemand kann. Sondern es geht darum, die Annahmen durch Aufschreiben sichtbar zu machen und überprüfbar zu machen, auf deren Basis man das Unternehmen und das Team führt. Zukunftsannahmen sind natürlich sehr individuell. Häufig werden Entwicklungen in der Digitalisierung bis hin zur künstlichen Intelligenz leider nur linear gedacht. Weil das die Art des Denkens ist, für die das menschliche Gehirn gemacht ist. Digitalisierung und erst recht künstliche Intelligenz entwickeln sich aber exponentiell. Das heißt, die Veränderung erfolgt zunächst sehr langsam, dann aber weitaus schneller als man es sich vorstellt. Und so werden Unternehmen und Menschen immer wieder von der Entwicklung überrascht und oft überrollt.
„Häufig werden Entwicklungen in der Digitalisierung bis hin zur künstlichen Intelligenz linear gedacht, beides entwickelt sich jedoch exponentiell.“
Zukunftsbilder im Umgang mit KI & Robotik
Sie haben in 30 Jahren rund zweitausend beraten. Was waren die Best Practices im Umgang mit KI & Robotik?
Best Practices bestehen ganz grundlegend darin, Technologien als nützliche Werkzeuge zu verstehen, die große Chancen bringen, um die Leistungen und Lösungen für Kunden zu verbessern, einfacher, angenehmer oder schlicht billiger zu machen. Falsch ist, Technologien zu ignorieren oder zu verdrängen bis man abgehängt ist. Man muss sich buchstäblich auf Technologien draufsetzen, damit man mit jedem Fortschritt der Technologie selbst besser wird im Interesse der Kunden wie auch der Mitarbeiter. Die Partnerschaft von Mensch und Technologie ist das offensichtlich richtige Rezept.
Gibt es für Sie einen Schlüsselfaktor, der über Erfolg oder Misserfolg einer Digitalisierungsstrategie entscheidet?
Ja. Es werden allerlei Aufgaben immer wieder zur Chefsache erklärt. Vom Marketing über die Mitarbeiter-Entwicklung bis zum Geschäftsmodell. Wenn Sie mich fragen, gibt es nur diese eine einzige Aufgabe, die man als Führungskraft nicht delegieren kann: das Zukunftsbild des Marktes und das Zukunftsbild des Unternehmens gemeinsam mit dem Team zu entwickeln und es im Team wirksam zu machen. Das ist der längste Hebel, das ist das wichtigste Führungswerkzeug.
Um wieder auf die KMUs zurückzukommen, die sich oftmals keine Heerscharen an Beratern für diesen Change leisten können. Wie kann es diesen trotzdem gelingen, erfolgreiche Produkte und Strategien zu entwickeln?
Es ist sogar gut, dass sie sich von keinen Heerscharen beraten lassen können. Denn es braucht sie so gut wie nie. Es braucht zum einen Fokus. Wenn man sich auf ein klar abgegrenztes Gebiet und eine fokussierte Mission konzentriert, kann selbst der einzelne Mensch und damit auch das kleinste Team sehr innovativ und produktiv sein. Das Internet ist voller Erfolgsbeispiele und Anleitungen, die man als Inspiration nutzen kann. Zum anderen bestimmt die enge Zusammenarbeit mit Kunden und Klienten, was nützlich ist, was weiterentwickelt werden soll und was wieder eingestampft werden kann.
Mit Freude in die Zukunft
Wie sollte man als Manager mit Rückschlägen und Fehlentscheidungen in diesem Kontext umgehen?
Da gibt es nur eine einfache Antwort: Rückschläge und Fehlentscheidungen sind vollkommen normal und unvermeidlich.
Was sind Ihre Empfehlungen an das Management, wie mit Ressentiments und Ängsten umgegangen werden soll/kann?
Zukunftsangst ist heute weit verbreitet. Die Veränderungen unserer Welt sind so grundlegend und passieren so schnell, dass sich Menschen kaum noch wohl fühlen können, wenn sie an die Zukunft denken. Wenn man nicht aktiv Zukunftsängste bearbeitet, werden sie in der Regel immer größer. Wie heilt man Zukunftsangst? Ganz banal durch Zukunftsfreude. Zukunftsfreude ist das Ergebnis von gezielter Arbeit an der Zukunft des Unternehmens. Zukunftsfreude entsteht selten durch Zufall. Seit mehr als 25 Jahren ist mein Motto: „Have a bright future!“. Sorge dafür, dass du eine glänzende Zukunft vor dir siehst. Das genau ist der Weg, Zukunftsfreude zu erzeugen.
„Arbeiten Sie als Leader konkret an der Vision der Zukunftsfreude.“
Internationale Positionierung
Welches Land empfinden Sie persönlich als besonders zukunftsfit hinsichtlich KI & Robotics und was sind dort die Erfolgsstrategien?
Sichtbar zukunftsfit in Sachen künstliche Intelligenz und Robotik ist China. Es hat zwar bei weitem nicht die meisten Patente, es ist aber besonders aktiv und konsequent, wenn es um den Einsatz neuer Technologien geht. Es hat teilweise natürlich damit zu tun, dass dort weniger Rücksicht auf die Interessen des Einzelnen genommen wird. China ist eine Kollektivgesellschaft, in der die Gesellschaft wichtiger ist als die Einzelne. Bei uns ist das genau andersherum. Deshalb sind wir naturgemäß etwas vorsichtiger und damit auch langsamer in der Umsetzung. Es ist eine Wertefrage. Und es ist noch vollkommen offen, wie es ausgeht. Es kann sein, dass wir mit dem Schutz des Individuums und mit unserer Demokratie langfristig das nachhaltigere und erfolgreichere Konzept haben. Aber dafür müsste das autokratische und kollektivistische Modell Chinas wirklich große Schwächen zeigen. Das ist noch nicht zu sehen.
Welche Noten stellen Sie Österreich hinsichtlich Nutzung & Anwendung von künstlicher Intelligenz aus?
Da wir zu dieser Frage keine Studie gemacht haben, will ich mich mit einer Benotung zurückhalten. Was ich wahrnehme, lässt mich vermuten, dass in Österreich wie auch in vielen anderen Ländern in Europa mittlerweile viel getan wird. Dass wir aber gegenüber asiatischen Ländern wie Südkorea und China wie auch gegenüber den großen IT-Unternehmen in den USA oder Israel noch im Hintertreffen sind. Um auf diesen Stand der Technik und Praxis zu kommen, müssten wir uns eine Zeit lang schneller entwickeln als sie. Das ist bei exponentiellen Technologien ein fast unmögliches Unterfangen, denn wenn man einmal im Rückstand ist, ist die Konkurrenz oft schon zu weit weg.