Wissen, was Recht ist – Aktuelles rund um den Arbeitsvertrag (Teil 2)

ARS Akademie

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Video-Interview mit Dr. Johannes Neumann

Der Herbst bringt auch heuer wieder Änderungen im Arbeitsrecht. Grund genug, einen unserer Experten um Rat zu fragen. Wir haben Dr. Johannes Neumann, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht und Referent an der ARS Akademie, zum Interview gebeten und ihm Fragen rund um den Arbeitsvertrag gestellt. Die Themen unseres Interviews: Angleichung der Kündigungsfristen und Kündigungstermine, Home-Office & flexibles Arbeiten sowie Kontrolle am Arbeitsplatz.

Home-Office und flexibles Arbeiten

Home-Office ist nach wie vor sehr präsent: Wie sollte es aus Ihrer Sicht vertraglich abgesichert werden?

Zunächst ist einmal zu sagen, dass es zum Thema Home-Office inzwischen gesetzliche Regelungen gibt, die einigermaßen Licht ins Dunkel gebracht haben. Allerdings gibt es noch Bereiche, die einer vertraglichen Regelung bedürfen. Insbesondere betrifft das das Thema mobiles Arbeiten. Wenn man außerhalb des Betriebes, aber nicht in den eigenen vier Wänden arbeitet, wird das vom Bereich „Home-Office“ von den gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht erfasst. Sollte mobiles Arbeiten mit dem Begriff „Home-Office“ gemeint sein – die Begrifflichkeiten werden hier sehr oft verwechselt – macht es Sinn, dazu eine klare vertragliche Regelung zu treffen.

Darüber hinaus sehen die gesetzlichen Regelungen zum echten Home-Office eine Kündigungsfrist für die Home-Office-Arbeit vor. Grundsätzlich beträgt diese Frist einen Monat. Sollte man hier andere Regelungen wünschen oder es nicht gezielt regeln wollen, wäre es gut, es in einer Home-Office-Vereinbarung klar abzubilden.

„Digitale Nomaden“ im Arbeitsrecht

Arbeiten, wann und von wo man will … Wie lassen sich neue Entwicklungen, wie Crowdworking, Gig-Economy oder „digitales Nomadentum“ mit dem Arbeitsrecht in Einklang bringen?

Die Arbeitswelt verändert sich aktuell mit Beginn der Digitalisierung, die in unseren Alltag voll Einzug gehalten hat. Auch die Arbeitswelt hat sich der Digitalisierung verschrieben. Arbeiten kann man heute von mobilen Endgeräten in einer ganz anderen Art und Weise, als das noch vor 20 Jahren der Fall war. Damit ergeben sich natürlich Fragen für das Arbeitsrecht, die der Gesetzgeber bislang nicht abbilden konnte.

Das Arbeitsrecht hinkt den modernen Arbeitswelten also teilweise hinterher.

Es stellt sich auch die Frage: Ist so etwas wie Crowdworking oder Gig-Economy im Arbeitsrecht überhaupt abgebildet, sodass wir von echten Arbeitsverhältnissen sprechen können? Es besteht auch ein Unterschied zum freien Dienstverhältnis oder einer Werkvertragslösung. Zunächst muss man sich bei solchen Formen der Arbeitswelt einmal ansehen, ob es sich um ein echtes Arbeitsverhältnis oder eine selbstständige Tätigkeit handelt. Aufgrund mangelnder gesetzlicher Grundlagen dafür, wie derart moderne Arbeitswelten arbeitsrechtlich zu beurteilen sind, ist es immer eine Frage des Einzelfalles. Man muss den Einzelfall betrachten, um zu sehen, wie man das arbeitsrechtlich tatsächlich löst.

Digitalisierung im Arbeitsrecht: Rund um die Uhr erreichbar?

Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass viele Arbeitnehmer fast rund um die Uhr erreichbar sind. Welche arbeitsrechtlichen Folgen hat die Entgrenzung zwischen Freizeit und Arbeitszeit?

Viele kennen das: Man sitzt um 22:30 Uhr zu Hause auf der Couch, erhält eine dienstliche E-Mail am Mobiltelefon und beantwortet es kurz. Das dauert zwei Minuten, drei Minuten, vielleicht fünf Minuten. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Arbeitsleistung, die im Regelfall von der Arbeitszeit tatsächlich nicht erfasst ist. De facto handelt es sich aber um Arbeitszeit, die in vielen Fällen jedoch nicht als solche erfasst wird. Die gesetzlich vorgesehene Arbeitsruhe wird unterbrochen, was dazu führen kann, dass die Höchstarbeitsgrenzen überschritten werden.

Der verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche, das ist beispielsweise in einer GmbH der Geschäftsführer oder ein verantwortlicher Beauftragter, läuft Gefahr, dass derartige Verstöße verwaltungsstrafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Natürlich stellt sich die Frage, wie solche Verstöße überhaupt bemerkt werden, aber de facto – geht man nach dem Recht – handelt es sich hier um Rechtsverstöße, die in der aktuellen gesetzlichen Grundlage nicht abgebildet sind.

Die Digitalisierung hat Einzug in die Arbeitswelt gehalten und einen Vorsprung gegenüber den tatsächlichen arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, über kurz oder lang entsprechende Anpassungen vorzunehmen.

4-Tage-Woche

Vielfach gibt es den Wunsch nach „Flexibilisierung“ in der Arbeitswelt; dabei wird immer wieder die 4-Tage-Woche genannt. Gibt es ein Recht auf eine 4-Tage-Woche?

Es gibt keine gesetzliche 4-Tage-Woche, allerdings haben sich die Kollektivvertragspartner des Handelskollektivvertrags vor einigen Jahren auf ein 4-Tage-Woche-Modell geeinigt. Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt, weil sehr viele Arbeitnehmer dem Handelskollektivvertrag unterliegen. Dort gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, das Recht auf die 4-Tage-Woche in Anspruch zu nehmen, allerdings gibt es Vorbehalte des Arbeitgebers, wodurch dies wiederum verhindert werden kann.

Das heißt, ein in der Praxis durchsetzbares Recht auf 4-Tage-Woche gibt es in diesem Sinne tatsächlich nicht. Diese Diskussion wird entsprechend weitergehen. Unabhängig davon kann man in arbeitsrechtlichen und arbeitsvertraglichen Vereinbarungen eine 4-Tage-Woche vereinbaren – auch auf Basis einer Vollzeitarbeit – aber darauf gibt es kein individuelles Recht. Das ist eine Sache, die sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer untereinander ausmachen können.

Kontrolle am Arbeitsplatz

Die Corona-Impfung polarisiert die Gesellschaft und der Diskurs darüber macht auch vor dem Arbeitsplatz nicht halt. Kann es eine „Impfpflicht“ am Arbeitsplatz geben?

Das ist eine gute Frage und vor allem eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Hinsichtlich der rechtlichen Entwicklungen im Bereich der Zulässigkeit, Impfungen vorzuschreiben sowie den Impfstatus abzufragen, besteht derzeit ein Diskurs.

Es gibt klarerweise auch dazu noch keine höchstgerichtlichen Entscheidungen. Was man inzwischen aber klar sagen kann: Wenn es verhältnismäßig gerechtfertigt ist, beispielsweise in bestimmten Berufsfeldern, kann die Impfung als Voraussetzung, um die Arbeit tatsächlich ausüben zu können, vom Arbeitgeber verlangt werden. Er kann eine Impfung im Rahmen einer Einstellung eines Dienstverhältnisses verlangen. Er kann sie aber auch bei bestehenden Dienstverhältnissen dann, wenn es im Einzelfall gerechtfertigt ist, durchaus verlangen.

Mit der möglichen Konsequenz, dass bestehende Dienstverhältnisse aufgrund einer Impfweigerung gekündigt werden.

Es gibt auch bereits erste Fälle dazu und es bleibt spannend, wie solche Fälle von den Gerichten bzw. dem Höchstgericht entschieden werden. Grundsätzlich muss man sagen: Der Arbeitgeber unterliegt einer Fürsorgepflicht – nicht nur gegenüber der betroffenen Person, sondern auch gegenüber allen anderen Arbeitnehmern. Er hat natürlich ein berechtigtes Interesse daran, Infektionen im Betrieb – auch gegenüber Kunden – zu vermeiden und hier entsprechend notwendige Schutzvorkehrungen zu verlangen. Dabei ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft die Impfung natürlich jene, die hier besonders maßgebend sein muss.

Private E-Mails im Büro

Vorsicht, „Chef liest mit“ – Darf der Arbeitgeber seine Mitarbeiter überwachen und beispielsweise E-Mails lesen? Wo liegen hier die arbeitsrechtlichen Grenzen?

Da geht es um die Frage sogenannter Kontrollmaßnahmen und inwieweit diese tatsächlich zulässig sind. Der Gesetzgeber fasst Kontrollmaßnahmen dann als zustimmungsbedürftig und -pflichtig auf, wenn sie dazu geeignet sind, die Menschenwürde zu berühren. Es geht nicht darum, ob tatsächlich die Menschenwürde berührt wird, sondern ob es die potenzielle Möglichkeit gibt.

Beim Mitlesen von E-Mails auf einem dienstlichen, aber personalisierten E-Mail-Account, wird möglicherweise die Menschenwürde berührt. Insbesondere dann, wenn man damit rechnen muss, dass auch eine private Kommunikation erfolgt.

Eine Zustimmungspflicht besteht in Betrieben, wo es einen Betriebsrat gibt, dahingehend, dass eine entsprechende Betriebsvereinbarung darüber abgeschlossen werden muss. In Betrieben, wo es keinen Betriebsrat gibt, muss tatsächlich eine Einzelvereinbarung mit dem betroffenen Arbeitnehmer oder mit allen Arbeitnehmern – wenn es alle betrifft – abgeschlossen werden.

Das heißt, der Chef darf nicht alles ohne Weiteres mitlesen, sondern es gibt hier klare rechtliche Grenzen, die sich an der Menschenwürde und deren Berührung orientieren. Die Arbeitnehmer haben hier die Möglichkeit, Vereinbarungen abzuschließen oder auch eine solche Vereinbarung abzulehnen, womit derartige Kontrollmaßnahmen dann nicht möglich wären.

Hier geht es zum 1. Teil des Interviews mit Dr. Johannes Neumann

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