ESG: Im Spannungsfeld zwischen Regulatorik und Chancen zur Kostenreduktion
Ein Interview mit dem ESG- und Innovationsexperten, Prof. (FH) Mag. Dr. Reinhard Altenburger, von der IMC FH Krems über aktuelle und kommende Nachhaltigkeits-Standards für Unternehmen, welche Chancen die ESG-Regularien bieten und warum sowohl KMUs wie Großkonzerne ESG-Manager in Zukunft brauchen werden.
Herr Prof Altenburger, haben Sie Vorschläge für die ESG (Umwelt-, Sozial- und Governance-) Transformation von Betrieben?
Das wichtigste ist, Kompetenzen aufzubauen. Viele Unternehmen haben bereits eine Berichtspflicht und jetzt geht es darum, dass man nicht nur diese Reporting-Anforderung sieht, sondern wirklich auch die Geschäftschancen, die dahinter stecken, entsprechend erkennt. Dass man entsprechende Strategien entwickelt, wie man mit dem Thema Nachhaltigkeit in Zukunft umgehen wird und wo man sich in dem Feld positioniert. Das ist sowohl für die mittelständischen Unternehmen wie für die großen player eine echte Herausforderung. In dem Prozess können Schwachstellen im Betrieb, die nicht-nachhaltig sind, entdeckt werden. Letztendlich kann man so Kosten reduzieren, wenn man energieeffizient oder materialeffizient arbeitet. Unternehmen müssen also nicht nur etwas erfüllen, sondern können auch wirklich Geld einsparen und auch neue Ertragsquellen erschließen.
Wie kommuniziert man richtig mit seinen Kunden und Mitarbeitern über nachhaltige Themen?
Wichtig ist die Kunden frühzeitig einzubinden in die gesamte Kommunikation. Unternehmen, die das praktizieren, haben ein ganz anderes Verständnis und kommunizieren auch schneller glaubwürdig. Bei den Mitarbeitern geht es sehr stark darum, dass in den Unternehmen Kompetenzen aufgebaut werden, und zwar für jeden Fachbereich: Einkauf, Produktion, IT oder Marketing und Personal.
Spannend ist auch, wie es mit der Kontinuität in der Firma mit diesen Themen aussieht. Oft sind Familienunternehmen Vorreiter, weil sie Nachhaltigkeit schon seit Jahrzehnten als Schwerpunkt verfolgen. In einem meiner Bücher, wo ich mich damit beschäftigt habe, beschreibe ich Familienunternehmen, die sich seit 50 oder 100 Jahren im Bereich Ressourceneffizienz engagieren und nicht erst die letzten Jahre, weil es modern geworden ist.
Oft sind Familienunternehmen Vorreiter, weil sie Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz schon seit Jahrzehnten als Schwerpunkt verfolgen.
ESG ist gekommen, um in der (Wirtschafts-)Welt zu bleiben und wird vom Trend- zum Kernthema. Wie baut man eine Nachhaltigkeitsstrategie auf und worauf muss man achten, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben?
Man steht hier ja nicht am Anfang, sondern kann schon auf viel Wissen zurück greifen. Das Wichtigste ist, die Branchenschwerpunkte zu erkennen. Wenn ich in der Möbelbranche bin, habe ich andere Schwerpunkte als in der Automobilzulieferindustrie, mit denen ich mich beschäftigen sollte. Was sind die wesentlichen Treiber in der Branche und dann strategisch planen, wo will ich in 10 bis 15 Jahre stehen. Ich kann in diese Strategieentwicklung auch meine Kunden, Lieferanten und auch andere Stakeholder, die ein wertvolles Wissen haben, einbinden. Das ist bei Nachhaltigkeitsthemen oft sehr wichtig: wer hat eigentlich dieses relevante Wissen, das ich brauche?
Es gibt auch viele internationale Pioniere in verschiedenen Branchen. Dabei muss man aber auch über die Grenzen hinaus schauen. Wegbereiter findet man vielleicht nicht im Nachbarbundesland, sondern in Kanada, Australien oder Schweden. Da findet man schon unglaublich viele Impulse, wie man als österreichisches Unternehmen damit umgehen kann.
Greenwashing: darauf achten, wie das Unternehmen mit seinen Stakeholdern umgeht
Stichwort Greenwashing: Woran erkenne ich als Kunde, ob ein Unternehmen wirklich nachhaltig agiert?
Man muss sich die gesamte Argumentation des Unternehmens anschauen und sich fragen, wie glaubwürdig sie ist. Etwa, wie geht das Unternehmen mit seinen Lieferanten, Kunden und Mitarbeitern um und wie sieht die gesamte Produktpalette aus. Wenn man eine google-Abfrage macht, kommt man schnell auch auf negative Aspekte.
Wo verläuft die Grenze zwischen „grünem“ Schmäh und ESG-konformer Tätigkeit?
Die erkennt man an der Gesamtausrichtung des Unternehmens. Gibt es nur das eine, grüne Produkt, das angeboten wird oder wie schaut das gesamte Angebot aus? Sind die Bio-Avocados aus Chile wirklich nachhaltig, wenn sie 12.000 Kilometer weit eingeflogen werden?
Viele Unternehmen haben bereits eine Berichtspflicht. Jetzt geht es darum, dass man nicht nur diese Reporting-Anforderung sieht, sondern die Geschäftschancen, die dahinter stecken, erkennt.
Die Öffentlichkeit fordert von Unternehmen und Organisationen mehr Nachhaltigkeit ein. Was sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten (ESG) – Aufgaben für Unternehmen?
Das ist zum einen die Umsetzung der CSRD, (Corporate Sustainability Reporting Directive; die EU-Richtlinie vergrößert ab 2024 den Kreis der zur Berichterstattung verpflichteten Unternehmen, Anm.). Mittelfristig müssen 2000 Firmen in Österreich standardisiert berichten, was bisher nur ein kleiner Teil von ihnen gemacht hat.
Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, nicht nur die Reporting-Anforderungen zu erfüllen, sondern die „business-cases“ im Themenfeld „Nachhaltigkeit“ und ESG zu identifizieren. Betriebsintern bedeutet es, Schwachstellen zu erkennen, was im Unternehmen nicht nachhaltig ist. Und schließlich sollten sich Firmen auch mit dem Bereich der Kreislaufwirtschaft näher auseinandersetzen.
Kreislaufwirtschaft: Produktionszyklus und Nutzungsdauer weiterdenken
Kreislaufwirtschaft als eigene Strategie?
Ja. Es gibt dazu eine eigene, ökonomische Strategie auch in Österreich und es ist wichtig zu schauen, was da auf die Unternehmen zukommt. Denn Kreislaufwirtschaft geht darüber hinaus, was man bis jetzt über Nachhaltigkeit diskutiert. Bei der Kreislaufwirtschaft wird der gesamte Produktionszyklus weiter gedacht und darauf geachtet, was nach der Nutzungsdauer mit dem Gerät und den Stoffen, die verwendet werden, passiert. Es gibt zur Kreislaufwirtschaft zehn verschiedene Strategien, die kommuniziert worden sind. Unter anderem ist das die Reparaturfähigkeit von Produkten, die vorgeschrieben und ein fixer Bestandteil werden wird.
Gibt es gesetzliche Herausforderungen, die auf die Wirtschaft in absehbarer Zeit zukommen?
Ja, zahlreiche. Die EU-Taxonomie (Das EU-weite Klassifizierungssystem soll klar definieren, welche Wirtschaftstätigkeiten unter welchen Voraussetzungen nachhaltig sind, Anm.) ist das Rahmenwerk für nachhaltige und nicht-nachhaltige Tätigkeiten. Es gibt in Zukunft, wie erwähnt, die Reporting-Anforderungen der CSRD, die weit über diese Non-Financial Reporting Directive (NFRD, Anm.) hinausgehen.
Dann kommt auf die Wirtschaft noch einiges mit dem EU-Lieferkettengesetz zu. In Deutschland ist man in der Umsetzung schon um einiges weiter. Aber auch in Österreich steht diese Anforderung im Raum. Wie sie dann genau umgesetzt wird, ist noch nicht klar, aber es ist zumindest absehbar, dass man mehr Verpflichtungen in der Lieferkette eingehen wird.
Sie unterrichten die ESG-Manager von morgen. Warum sollte sich jedes Unternehmen mit dem Thema beschäftigen?
Wichtig ist, diese Reglementierungen, die ich angesprochen habe, rechtzeitig zu erkennen und vorausschauend zu agieren. Auf der anderen Seite ist das Thema Nachhaltigkeit eines, wo sich die Unternehmen verstärkt mit den Stakeholdern auseinandersetzen müssen. Das heißt, wie binde ich diese ein, damit auch neue Partnerschaften geschlossen werden, die notwendig sind. Chancen und Möglichkeiten zur Differenzierung müssen auch zeitgerecht erkannt werden. Es sind auch viele neue Partnerschaften im Bereich der Nachhaltigkeit notwendig. Wenn man das strategisch vorausschauend planen will, muss man die gesamte Wertschöpfungskette durchdenken, neue Partnerschaften eingehen und das Potenzial hinter dem Thema „Nachhaltigkeit“ erkennen.