Wertschöpfung steigern, statt nur Regeln zu erfüllen
Regulatorien sind wichtig, um den Green Deal der EU umzusetzen. Bürokratie sollte aber nicht das Thema bestimmen. Christian Plas rät Firmen, die Chance zu nutzen, gemeinsam mit Stakeholdern neue Geschäftsmodelle zu entwickeln
Herr Plas, Sie sind einer der Pioniere in der österreichischen Nachhaltigkeitsberatung. Was hat sich in den letzten 30 Jahren hinsichtlich Awareness im Bereich Nachhaltigkeit in den Unternehmen verbessert?
In den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts fand ich die allgemeine Stimmung hinsichtlich Umweltschutzes sehr positiv. Quer durch alle Bevölkerungsschichten und auch in der Industrie gab es viel Akzeptanz. Diese positive Grundstimmung hat sich, verbunden mit den nach 2000 erkannten Notwendigkeiten zum Klimaschutz, nun politisch stark in Rechtsakten der EU manifestiert. Und nun, da es ernst wird, fängt die Akzeptanz zu bröckeln an. Das liegt sehr stark am Hin und Her in der politischen Kommunikation: Einmal sind E-Autos oder Wärmepumpen gut, dann wieder nicht. Da kennt sich keiner aus und das verunsichert massiv.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Themen, die Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit am Radar haben müssen?
Nachhaltigkeit wird in Europa stark aus regulatorischer Perspektive getrieben, ich nenne hier nur stellvertretend die CSRD, die zum Nachhaltigkeitsreporting verpflichtet, oder auch die CSDDD, also das EU-Lieferkettengesetz. Wir leben aber auch im Jahrhundert der Wenden: Dazu zählen beispielsweise die Energiewende, die Mobilitätswende oder auch die Ernährungswende. Das heißt, viele Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell hinterfragen. Wichtig und relevant ist deswegen nicht nur die regulatorische Perspektive, sondern auch das steigende Bewusstsein und der Druck seitens Banken, Kundinnen und Investorinnen. Unternehmen sollten die Regulatorik weniger als mühsame Pflichterfüllung wahrnehmen, sondern als Aufruf, ihre Strategien auf die zukünftigen Anforderungen der Gesellschaft auszurichten. Die Einbeziehung von Partnern in der Wertschöpfung (upstream wie downstream) ermöglicht ganz neue Geschäftsmodelle. Und das ist natürlich sehr attraktiv!
Unternehmen sollten die ESG-Regulatorik als Chance für Weiterentwicklung sehen.
Was sind aktuell die am häufigsten gestellten Fragen bei Ihren Kund*innen?
Verständlicherweise bei der Vorbereitung auf das Management der nichtfinanziellen Daten und die geforderte Berichterstattung. Dabei inkludiert sind angrenzende Themen, wie die Berechnung des Corporate Carbon Footprints (CCF), die sehr komplex ist, zum Beispiel. Oder Taxonomieprojekte mit der Zielsetzung, welche Geschäftstätigkeiten als „nachhaltig“ ausgewiesen oder dort hinentwickelt werden können. Das löst immer wieder Projekte zur Umstellung auf Kreislaufwirtschaft aus. Stärker werden auch wieder Dekarbonisierungsstrategien (Climate Transition Plans).
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Wo sehen Sie Quick Wins im Bereich ESG-Strategie für Unternehmen?
In Projekten zeigt sich immer wieder, dass die verpflichtende Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette neue strategische Ansätze ermöglicht. Dies liegt einerseits daran, dass bisher oft rein finanzielle Perspektiven dominiert haben und nun andere Themen in den Fokus rücken. Andererseits konzentrierten sich strategische Überlegungen häufig auf direkt beeinflussbare Bereiche. Die Einbeziehung von Partnern entlang der Wertschöpfungskette – sowohl upstream als auch downstream – eröffnet jedoch ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise für innovative Geschäftsmodelle. Das macht diesen Ansatz besonders attraktiv.
Was sollten Unternehmen tunlichst vermeiden?
Ich sehe derzeit zwei zentrale „Learnings“ für Unternehmen:
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1
Kein formales Abarbeiten
Ein rein formales Abarbeiten der CSRD-Anforderungen, bei dem Daten ohne Strategie gesammelt und berichtet werden, bringt wenig oder keinen Nutzen. Die Befassung mit nichtfinanziellen Indikatoren bietet jedoch eine völlig neue Perspektive und liefert wertvolle Informationen, um Prozesse zu optimieren, Strategien zu entwickeln und neue Geschäftsmodelle zu gestalten.
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2
Kein Greenwashing
Nachhaltigkeitsqualitäten – sowohl für Produkte als auch für das Unternehmen – ohne fundierte Belege zu kommunizieren, ist riskant. Solches Greenwashing ist mittlerweile strafbar. Viele Unternehmen wurden bereits dafür verurteilt, und die daraus resultierenden Strafen können erheblich sein.
Wie überzeugen Sie Manager*innen, dass ein Nicht-Handeln in puncto ESG keine Option mehr ist?
Das muss ich eigentlich nicht. Mit den meisten Manager*innen dreht sich die Diskussion darum, was zu welchem Zeitpunkt in welcher Form gemacht werden soll, um die Ressourcen des Unternehmens bestmöglich zu nutzen und einzubinden und möglichst viele positive Effekte – hier spreche ich sowohl kurzfristige Optimierungen als auch langfristige, strategische Fragen an – zu erzielen.
Wie sind Sie als ESG-Vorreiter mit der Umsetzung des EU Green Deals zufrieden?
Danke für diese Frage! Nicht besonders. Leider wurde aus meiner Sicht die große Idee, den Green Deal als Wirtschaftsprogramm zu verstehen, mit dem Europa als hochpreisiger Wirtschaftsraum für Unternehmen attraktiv sein kann, nicht verstanden. Daher wurden die vorgeschlagenen Regelungen stark bekämpft und konnten die intendierten positiven Effekte nicht entwickeln. Den oft diskutierten Vorwurf der Überregulierung verstehe ich; sie ist aber meiner Meinung nach ein Produkt des politischen Prozesses mit dem (traurigen) Ergebnis, dass die Administration gemacht werden muss, der Nutzen aber ausbleibt. Um ein Beispiel zu nennen: Wir führen eine CO2-Steuer ein, die administriert werden muss, jedoch in einer Höhe, in der sie keine Effekte hat. Das ist sinnloser Papierkram.
Wie bewerten Sie den Nationalen Energie- und Klimaplan?
Ich denke, es wird sich erst noch zeigen, wie und wo die Umsetzung gelingt und ob wir mit diesem Plan tatsächlich weiterkommen. Vieles hängt weniger vom Plan selbst ab, sondern vielmehr von dessen Umsetzung durch die nächste Regierung.
Eine grundlegende Erkenntnis, die wir hoffentlich bald gewinnen, ist, dass Veränderungen nur dann möglich sind, wenn wir sie auch tatsächlich zulassen. Leider scheitert die Politik daran derzeit noch häufig.
In einem kürzlich veröffentlichten Podcast wurden Sie als Mann der Industrie und des Klimas beschrieben. Was ist Ihr Erfolgsrezept, um beides miteinander zu verbinden?
Ich glaube aus vielen Gründen nicht an eine deindustrialisierte Gesellschaft – aber das wäre eine eigene Diskussion.
Mein Ziel bei der Gründung der denkstatt 1993 mit Freunden aus der Jungen Industrie war es, Industrieunternehmen dabei zu unterstützen, besser zu werden. Damals lag der Fokus auf klassischem Umweltschutz, also der Verbesserung von Materialeffizienz und der Reduktion von Emissionen. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Schwerpunkt jedoch deutlich in Richtung Klimaschutz verschoben.
Als EY denkstatt sehen wir unsere Aufgabe darin, den wirtschaftlichen Erfolg unserer Kund*innen durch die Verbesserung ihrer Nachhaltigkeitsperformance zu steigern.
Sie werden nächstes Jahr bei unserer ESG-Woche „Power Synergy“ vortragen. Worauf dürfen sich unsere Leser*innen schon freuen?
Ich werde ganz sicher auf die aktuellen Entwicklungen in der Industrie und Gesellschaft eingehen und mein Bild von Ansätzen erläutern, mit denen wir vielleicht die manchmal widerstreitenden Zielsetzungen, die wir anstreben, erreichen können. Zum Event