Wir sind mit ESG gerade erst am Anfang

ARS Akademie

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Ein Gespräch mit der Finanzexpertin Mag. Karin Lenhard (Kapitalmarktrecht und Sustainable Finance in der Erste Group Bank) zu den Themen ESG-Kriterien in der Finanzindustrie, welche Rolle die Branche im Kampf gegen den Klimawandel spielt und wo die Grenzen zwischen Nachhaltigkeit und Greenwashing verlaufen.

Die Zukunft des nachhaltigen Investments

Frau Mag. Lenhard, das Thema „Nachhaltigkeit“ ist aktueller denn je. Mit den ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance, Anm.) findet nachhaltiges Investieren auch Einzug in die Finanzwelt. Können Sie uns erläutern, was die ESG-Kriterien für die Finanzindustrie bedeuten und warum sie gerade für diese Branche so wichtig sind?

Nachhaltigkeit ist für die Finanzbranche deshalb so wichtig, weil der EU-Gesetzgeber der Meinung ist, dass wir die Drehscheibe der Transformation sind. Die Finanzindustrie hat es in der Hand, wen wir finanzieren oder wohin wir investieren. Damit lenken wir gezielt Kapitalströme in Richtung grüne Investition und solche Wirtschaftszweige, die den Klimawandel ein wenig abbremsen können. Und wir wollen in Zukunft nicht mehr Branchen finanzieren, die sehr CO2-intensiv sind. Hier ist das große Stichwort Dekarbonisierungsstrategie, die Marktstandard werden wird.

Welche Rolle spielt die Finanzindustrie im Kampf gegen den Klimawandel?

Wir spielen eine zentrale Rolle. Aber wir werden es nicht allein schaffen und keine Chance haben, wenn die Regierung und die Realunternehmen nicht mitmachen. Die Unternehmerszene muss erkennen, dass sie einen wichtigen Beitrag leistet. Die großen, börsennotierten Unternehmen haben schon Strategien. Wo ich das Problem sehe, ist im KMU-Bereich, da diese von der Regulatorik des EU Green Deals größtenteils ausgenommen sind. Hier versuchen wir aktiv bei unseren Kunden Aufklärung zu betreiben: „Passt auf, wenn ihr CO2-intensiv seid, müsst ihr euch etwas überlegen, sonst wird euer Geschäftsmodell nicht mehr lange am Markt bleiben.“ Ein weiteres Beispiel ist der Energieausweis im Immobilienbereich. Wir reden seit mittlerweile fast einem Jahr mit der österreichischen Regierung, dass man ihn irgendwo in einer digitalen Plattform, wie dem Grundbuch, zur Verfügung stellt, weil wir sonst nicht an die vorgeschriebenen Informationen kommen.

Wie sieht es mit der Umsetzung der Social und Governance-Kriterien aus? Ist das auf Schiene?

Nein, seitens der EU gibt es leider Verspätungen. Es gibt einen ersten Entwurf zur sozialen Taxonomie (Die EU-Taxonomie schafft verbindliche Definitionen, was als nachhaltiges Wirtschaften gilt, Anm.). Für den G-Bereich gibt es noch gar nichts. Die Sparkassen haben, was das Soziale betrifft, schon immer gute Aktionen umgesetzt. Wir haben mit dem leistbaren Wohnen derzeit ein großes, soziales Projekt, das auch gruppenweit in den osteuropäischen Ländern läuft. Wir sagen auch immer, wir werden den ökologischen Übergang nicht schaffen, wenn wir die sozialen Komponenten nicht mit berücksichtigen.

„Blackrock-Chef Larry Fink sagt, sie investieren in kein Unternehmen mehr, das keine Nachhaltigkeitsstrategie hat.“

Nachhaltiges Finanzwesen – EU-Taxonomie als Chance

Welche Chancen und Risiken sehen Sie für den ESG-Ansatz in Europa als globalen Leitmarkt?

Die EU-Taxonomie hat die Chance, einen globalen Standard zu setzen. Wir müssen nur aufpassen, dass es nicht zu komplex wird. Die Amerikaner und auch die Chinesen verwenden schon die Taxonomie als Vorlage für deren Klassifizierungssystem für einen Teilbereich ihrer Wirtschaft. Je nachdem, aus welcher Wirtschaftsbranche man mit Experten redet, ist immer wieder die Angst groß, dass man einen Wettbewerbsnachteil durch diese gesamte EU-Gesetzgebung erleidet. Aus der Versicherungsbranche habe ich zum Beispiel gehört, dass gewisse Risiken nicht mehr versichert werden können und gerade in Osteuropa chinesische Versicherer schon sehr stark am Markt sind. Das darf die EU nicht übersehen. Der europäische Wirtschaftsraum muss wettbewerbsfähig bleiben, Stichwort „geordnete Transition“ (Übergang, Anm.), und nicht mit irgendwelchen Überregulierungen zu stark beschränkt werden. Das ist ein schmaler Grad.

Warum sind ESG-Daten und Ratings so wichtig?

Ratings sind wichtig für börsennotierte Unternehmen, damit wir Kapital vom Markt erhalten. Bei den institutionellen Investoren wird das seit ein paar Jahren immer wichtiger. Zum Beispiel „Blackrock“-Chef (der weltgrößte Vermögensverwalter, Anm.) Larry Fink hat gesagt, sie investieren in kein Unternehmen mehr, welches keine Nachhaltigkeitsstrategie hat. Auf dem internationalen Markt muss man eine Nachhaltigkeitsstrategie, ein gewisses Rating, vorweisen, um bestehen zu können.

Und die ESG-Daten?

Daten sind ganz wichtig, weil wir Banken wissen müssen, wenn wir etwas finanzieren, ob das der Taxonomie entspricht oder eben nicht. Wenn wir unsere Dekarbonisierungspfade formulieren, brauchen wir auch die Daten von den Unternehmen, damit wir kalkulieren können: wie viele Emissionen stößt wer tatsächlich aus? Wie können wir das reduzieren?

Und diese Daten bekommen Sie auch?

Noch nicht, nein. Wir sind aktuell verpflichtet, sehr viele Sachen offen zu legen, für die wir einfach die Daten noch nicht haben, weil sie noch nicht existieren (teilweise wurden sie noch nicht erhoben, teilweise stehen sie nicht in der erforderlichen Qualität zur Verfügung). In den nicht-finanziellen Berichten gibt es sehr oft den Satz: „Konnten wir leider mangels Daten nicht ermitteln.“

„Bin nicht grün, wenn ich Bienenstöcke am Dach habe“

Wo ist die Grenze zwischen Nachhaltigkeit und Greenwashing?

Die Grenze ist oft schwierig, weil das Thema Nachhaltigkeit sehr individuell besetzt ist. Ich habe zum Beispiel im Rahmen einer Konferenz gehört, wenn ein Fonds Nuklearenergie beinhalte, sei das Greenwashing. Das Thema ist sehr emotionsgeladen, obwohl es seitens der EU als Taxonomie-konform eingestuft wurde. Darum greift der Vorwurf des Greenwashings schnell. Das zweite Problem ist, dass die Regulatorik der EU oft widersprüchlich ist. Worauf man als Unternehmen schon aufpassen muss, ist, dass ich nicht automatisch grün bin, nur weil ich ein paar Bienenstöcke am Dach habe. Wichtig ist vor allem die Transparenz bei Anlageprodukten. Als Institut oder Unternehmen muss ich festlegen, was für mich nachhaltig ist, gerade wenn es um Ausschlusskriterien geht. Das ist das Wichtigste gerade in der heutigen Zeit, um den Vorwurf zu umgehen.

Wie kann eine Nachhaltigkeitsstrategie in Unternehmen aufgebaut und implementiert werden?

Zuerst braucht es eine Bestandsanalyse mit der Frage: wo stehe ich? Was ist mein Geschäftsmodell und in welcher Region bin ich tätig? Dann muss ich analysieren, welche Umwelt- und Sozialprobleme gibt es in der Region, wie spielt das mit meinem Geschäftsmodell zusammen und wie kann ich in der Region etwas bewirken? Es ist zwar schön, wenn man sagt, ich bin gegen die Abholzung von Regenwald. Aber wenn ich in Südamerika nicht operativ tätig bin, werde ich wenig „Impact“ erreichen. Wenn ich mehrere Themen habe, muss ich mich fragen, wo kann ich am Schnellsten eine Wirkung erzielen? Ich rate, mit ein oder zwei Zielen anzufangen, damit man nicht den Überblick verliert. Bei uns im Bankensektor sind zum Beispiel Klimaschutz, Klimawandel und CO2-Fußabdruck sehr wichtig. Und jetzt fließt langsam immer mehr das Thema der Biodiversität mit ein. Durch den Druck von außen heißt es jetzt, „liebe Banken, kümmert euch bitte nicht nur um den Klimawandel, sondern auch um Biodiversität, weil das ineinander verzahnt ist“.

ESG ist gekommen um zu bleiben

Im Frühjahr 2023 startet die Ausbildung zum Sustainable Finance Experten der ARS Akademie unter Ihrer fachlichen Leitung. Für welche Zielgruppe ist der Kurs interessant und was erwartet die Teilnehmer?

Der Kurs ist für Personen aus dem Finanzsektor, aber auch aus dem Nicht-Finanzsektor interessant. Von der Strategie her ist es nämlich relativ ähnlich. Wie kann ich eine Nachhaltigkeitsstrategie im Unternehmen implementieren? Was die Teilnehmer erwartet, ist ein gutes Basiswissen zum rechtlichen Umfeld, in dem wir uns bewegen, zu Initiativen aus Österreich und der Frage, warum uns der Klimawandel alle betrifft. Auch die Erwartungshaltungen der Prüfer und Aufsichtsbehörden werden erörtert. Speziell für Personen aus dem Finanzsektor gibt es Antworten zu den Themen Finanzierungen, Veranlagungen, ESG-Daten, ESG-Ratings und wie diese Ratings funktionieren. Das ist deshalb wichtig, weil jeder Ratinganbieter seine eigene Methode hat. Insgesamt also ein breites Grundwissen, von dem man sich gut auf seinem Gebiet weiter spezialisieren kann.

Und Sie sehen dafür einen Aufholbedarf in der Branche?

Ja. Vor kurzem hat das Klimaschutzministerium ein Webinar zur Taxonomie abgehalten. Ich habe im chat-Verlauf immer wieder Fragen gesehen, die aufzeigen, dass wir alle noch am Anfang stehen. Da gibt es nach wie vor einen immensen Aufholbedarf.

Wenn Sie lesen, dass ESG nur ein kurzlebiger Trend ist. Und nicht gekommen ist, um zu bleiben. Wie würden Sie darauf reagieren?

Ich würde lachen. ESG ist definitiv gekommen, um zu bleiben. Es wird sogar noch wesentlich mehr werden. Wir sind gerade am Anfang. Da kommt noch einiges auf uns zu. Und wenn ich mir die COP27 anschaue, dann erst recht.

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