Resilienz: Betriebswirtschaft und der Mensch dürfen nebeneinanderstehen

ARS Akademie

Ein Interview mit der Leadership Mentorin für Führungskräfte, Teams und Organisationen und Geschäftsführerin von wings4minds, Pia Kasa, über den Unterschied zwischen resilienten und nicht-resilienten Menschen, welchen Nutzen resilientere Mitarbeiter für Unternehmen haben und wie wir uns gegen berufliche Krisen am besten wappnen.

Frau Mag. Kasa, was unterscheidet resiliente Menschen von nicht-resilienten Menschen in Bezug auf Mindset oder Verhalten?

Die US-Entwicklungspsychologin Emmy Werner hat in einer 40-jährigen Langzeitstudie, die 1977 veröffentlicht wurde, herausgefunden, dass sich etwa 700 Kinder auf der Hawaii-Insel Kauai, die in misslichen Verhältnissen ohne Eltern in den Slums aufgewachsen sind, später im Leben unterschiedlich entwickelt haben. Ein Drittel davon führte ein gutes Leben mit Ehe, Kinder und Job, während zwei Drittel mit dem Gesetz in Konflikt kamen, häufig Scheidungen und frühe Schwangerschaften erlebten. Das war die Geburtsstunde der Resilienz. Werner untersuchte in der Folge, was das eine Drittel von den anderen beiden unterscheidet.
Die erste Differenzierung bestand darin, dass die resiliente Gruppe einen sehr großen Glauben an sich selbst hatte und einen Sinn in der jeweiligen Lebenssituation gefunden hatte. Das wissen wir auch vom Gründer der Logotherapie Viktor Frankl. Die Menschen, die in ihrem Leben in der Situation, in der sie sich gerade befinden, einen Sinn sehen – und sei die Situation nach dem Tod des Partners oder eines Kindes auch noch so schlimm – sind resilienter.
Zweitens hatten sich diese Kinder, wenn sie ohne Eltern aufwuchsen, eine Bezugsperson gesucht. Das kann eine Großmutter oder ein Großvater, aber auch ein Lehrer sein. Diese Person war ihnen wohlgesonnen und gab den Kindern eine positive, emotionale Stärkung.
Der dritte Unterschied war, dass diese Kinder gut vernetzt in Sportvereinen oder anderen Communities waren und sich dort Stärkung geholt haben. Und viertens waren sie optimistische Menschen.

Wie stärke ich als Führungskraft und Unternehmen die Resilienz meiner Mitarbeiter?

Wenn Sie als Führungskraft auf die 8 Resilienzkompetenzen fokussieren, dann blühen Ihre Mitarbeiter*innen richtig auf und sind vor Burnout geschützt:

  • Optimismus und positives Weltbild/Mindset: zunächst sich selbst auf das Gelingende, Stärkende ausrichten und selbst gut führen. Dann stärkendes Führungsverhalten, wie z. B. durch Beobachtung und Rückmeldung, wenn sie etwas gut gemacht haben. Aus der positiven Psychologie wissen wir, dass Menschen dann aufblühen, wenn man dreimal mehr auf das Gelingende schaut als auf ihre Fehler.
  • Akzeptanz und Realitätsbezug: wenn Veränderungen oder Kündigungen im Unternehmen bevorstehen, sollte offen und transparent kommuniziert werden. Die Führungskraft soll sagen, was Sache ist.
  • Lösungsorientierung und Kreativität: nicht auf das Problem fokussieren, sondern das Potenzial, die Kreativität und die Expertise der Belegschaft lösungsorientiert einsetzen.
  • Selbstregulation und Selbstfürsorge: darüber Bescheid wissen, welches Stressmuster habe ich als Führungskraft und wie ticken meine Mitarbeiter. Methoden zum Abkühlen im Stressgeschehen beherrschen – wie z.B. die Achtsamkeitspraxis.
  • Selbstverantwortung und Gestaltungskraft: welche Rolle habe ich im Unternehmen und welche Erwartungen sind an diese Rolle geknüpft? Welche Rollen spielen die Mitarbeiter*innen? Welche Erwartungen und Werte sind daran geknüpft und wann braucht es wo ein Update? Welche „Machtspiele“ werden gespielt und wie können sie verhindert werden?
  • Beziehungsgestaltung und Netzwerkpflege: Wahrnehmen der Arbeitslast als Führungskraft und besprechen wie diese Last umverteilt und reduziert werden kann. Unterstützung holen bei Arbeitsüberlastung durch einen Coach oder durch Netzwerkunterstützung innerhalb oder außerhalb der Organisation. Dasselbe gilt für Mitarbeiter, wenn sie in Richtung Burnout tendieren. Dann sollte ein Arbeitspsychologe oder Arbeitsmediziner mit einbezogen oder von extern jemand eingebunden werden.
  • Zukunftsgestaltung, Visionen, Werte: Mindestens einmal im Jahr mit dem Team schauen, wohin das Unternehmen geht und was das für den jeweiligen Organisationsbereich bedeutet. Wie stellt man sich mit der Belegschaft auf, damit Belastungen schon präventiv erkannt werden?
  • Improvisationsvermögen und Lernbereitschaft: Resiliente Personen nutzen ihr Improvisationsvermögen im Umgang mit unvorhergesehen Ereignissen und schnellen Veränderungen. Sie sind in der Lage, offen und neugierig zu bleiben und die Situationen schnell anzunehmen und entsprechend schnell zu reagieren. Resiliente Personen können aus ihren Fehlern und Niederlagen lernen. Diese Kompetenz hilft enorm in der neuen Arbeitswelt und bei steigendem Tempo der Veränderung durch die Digitalisierung.

Burnout-Krankenstände können einen Dominoeffekt auslösen

Welche konkreten Beispiele haben Sie, wie Resilienz im Berufsalltag hilft?

Ich kann von meinem letzten Online-Training bei einem österreichischen Produktionsunternehmen in der Holzindustrie berichten. Davon habe ich gerade nach dem Training die Feedback-Bögen bekommen. Einige Leute haben geschrieben: „Vielen Dank! Burnout ist abgewendet.“ Ich habe mich darüber natürlich sehr gefreut. Das ist großartig für die Menschen, aber auch für das Unternehmen. Je nachdem, in welchem Stadium des Burnouts man sich befindet, ist es ja auch ein Unterschied, ob man einige Tage fehlt oder ob es ein Langzeitkrankenstand wird. Krankenstände bedeuten Kosten und können einen Dominoeffekt auslösen. Wenn ein Mitarbeiter in einer Schlüsselposition nicht da ist, müssen die anderen noch mehr rudern und können auch „angesteckt“ werden.
Außerdem haben in dem Training alle gelernt, besser auf sich zu achten und sich besser abzugrenzen. Die Mitarbeiter sind so empowered danach, dass sie schwierige Themen im Unternehmen ansprechen und dabei keine Angst haben, deswegen gekündigt zu werden. Drittens haben sie mehr Kraft für die Bewältigung der unterschiedlichsten Anforderungen, weil sie sich besser im Team vernetzen. Und der vierte Punkt ist, dass sie bei einem Krisenverlauf nicht so tief fallen. Resilienten Menschen und damit Mitarbeitern gelingt es leichter und schneller wieder, sich zu erholen.

Was sind resiliente Unternehmen?

Nicht nur ein bisschen Yoga und ein Apferl. Das ist schon ein Gesamtkonzept.

Für mich sind resiliente Unternehmen jene, die verstanden haben, dass der Mensch keine Nummer ist, sondern ein komplexes Wesen mit einem riesigen Potenzial. Als Organisation muss ich mir die Frage stellen: wie kann ich dieses Potenzial nutzen? Mir fällt dazu ein technisches Unternehmen in Deutschland ein, die 14.000 Mitarbeiter und 50 Millionen Euro Schulden hatten. Dort hat der Geschäftsführer den Mitarbeitern erklärt, wie die Lage des Unternehmens aktuell aussieht und was das für jeden Einzelnen bedeutet. Aber er hat versprochen, dass er keinen Mitarbeiter kündigen wird und angekündigt, dass sie das gemeinsam schaffen werden. Es wurde nach anderen Kosteinsparungen gesucht, sie haben nach einer Durststrecke schließlich den Turnaround geschafft und er hat Wort gehalten. Am Ende dieses Prozesses hat die Firma mehrere neue Produkte entwickelt und 40 neue Patente angemeldet. Das ist wirklich ein geniales Unternehmen, das verstanden hat, dass es zwar um Betriebswirtschaft geht, aber auch um die Menschen. Das darf nebeneinanderstehen. Das ist für mich ein resilientes Unternehmen. Resilienz heißt für mich aber auch, dass ich als Betrieb in die Nachhaltigkeit gehe und zum Beispiel wie bei der Firma „Gore“ auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter schaue. Das ist dort nicht nur eine Feigenblatt-Geschichte, weil sie verstanden haben, dass das nicht nur für den Menschen gut ist, sondern für die gesamte Organisation. Also nicht nur ein bisschen Yoga und ein Apferl. Das ist schon ein Gesamtkonzept, das ich als Unternehmen mit einer Strategie verknüpfen kann.  

Mut zum Eingestehen einer Krise haben

Es heißt, in jeder Krise steckt eine Chance. Wie nutzt man sie nun für sich am besten und meistert sie damit leichter?

Es gibt viele Menschen, die eine Krise leugnen. Die dröhnen sich mit Alkohol und allem möglichen zu und betäuben sich, weil Menschen oft Angst vor den Gefühlen haben, die hochkommen, wenn man mal genau hinschaut. Wichtig ist es am Anfang also, diesen Mut zum Eingestehen der Krise zu haben. Der nächste Schritt ist die Frage, ob ich in der Situation Hilfe brauche. Was brauche ich konkret und von wem? Das kann mein Partner sein, ein Coach oder der Chef, wenn ich mit ihm eine gute Vertrauensbasis habe.

Ich habe bei einer großen Spedition kulturelle Veränderungen begleitet und habe auch mit dem Vorstand einmal über Coaching gesprochen. Er hat aber gesagt, Coaching bräuchten sie nicht.  Damals habe ich mir gedacht: „Das geht nicht mehr. Die Welt ist schon so komplex, wir haben alle unsere blinden Flecken.“ Man soll nicht glauben, alles alleine schaffen zu müssen. Das muss man nicht. Man darf sich Hilfe holen.

Ich kann aber auch zurückschauen auf mein Leben und mir ansehen, welche verschiedenen Krisen ich schon gemeistert habe. Und wie mir das gelungen ist. Damit kommt man schon ein bisschen raus aus dieser Krisen- und Problemtrance. Wenn man zurückschaut, relativiert sich das auch und man macht sich diese angeeigneten Kompetenzen aus der Vergangenheit wieder bewusst.

Was beeinflusst Resilienz negativ?

Es gibt so viele beeinflussende Faktoren rund um den Menschen wie zum Beispiel die Schlagzeilen in den Medien. Das beeinflusst natürlich den Menschen, das beeinflusst natürlich auch die Resilienz. Ich rate den Kursteilnehmern zur Mediendiät. Das heißt, ein Mal am Tag Zeitung lesen, ein Mal am Tag Radio hören, vielleicht gar nicht Nachrichten schauen, weil sich die Bilder anders eingraben als wenn ich sie nur höre.
Viele Menschen haben einen Hang zur Dramatisierung. Je nachdem, wie die Persönlichkeit aufgestellt ist und wie sich dieser Mensch in der Kindheit Aufmerksamkeit organisiert hat, tendiert ein Mensch mehr oder weniger zur Drama-Queen.
Neben dem privaten Umfeld, das nicht resilienz-förderlich sein kann, wenn mich der Partner ständig kritisiert, geht es natürlich auch um das Team, in dem ich im Betrieb arbeite. Wenn ich eine nörgelnde Führungskraft habe, die nur auf die Fehler schaut und vielleicht auch noch herumbrüllt, dann ist das kontraproduktiv für jede Resilienz.

Sie plädieren für ein optimistisches Mindset, Improvisationsvermögen und Kreativität in turbulenten Zeiten bei gleichzeitigem Realitätssinn und Abgrenzung zu nicht Veränderbarem. Warum stärken wir unsere Psyche so am besten gegen berufliche Krisen?

Die Ergebnisse verschiedener Forschungsstränge wie zum Beispiel die von Emmy Werner sind für mich ein ganz zentraler Beweis dafür. Der zweite Grund ist Aaron Antonovsky, der sich mit der „Salutogenese“ beschäftigte. Er hat mit Frauen, die in Konzentrationslagern interniert waren, gearbeitet und sich gefragt, wie sie mit diesem Trauma umgehen. Sie hatten auch ein positives Mindset und haben die Dinge angenommen, wie sie sind. Und Viktor Frankl natürlich, der Resilienteste überhaupt. Er stellte nicht die Frage nach dem „Warum“, sondern wozu kann ich die schwierige Situation für mich nutzen? Wo sind die Geschenke in der Krise? Weil die gibt es immer.

 

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