Neue Führungskräfte startklar machen
Ein Interview mit den Trainern und Coaches Julia Pichler-Roßbach und Otmar Pichler über den Übergang vom Mitarbeiter zur Führungskraft, welche Fehler die meisten Führungskräfte in dieser Phase machen, wie gute Chef- und Mitarbeitergespräche aussehen und die schwierige Frage, was eine gute Führungskraft ausmacht.
Neu als Führungskraft. Hürdenlauf oder freie Bahn?
Gehen wir gleich ins Thema: Wie gestaltet sich zumeist der Übergang vom Mitarbeiter zur Führungskraft und welche Probleme haben die meisten neuen Führungskräfte?
Otmar Pichler: Die meisten neuen Führungskräfte, die zu den Leadership-Seminaren kommen, sind schon in der Führungsposition, manche erst seit wenigen Tagen oder Wochen, andere schon Monate oder sogar Jahre. Sie kommen, weil sie noch gar keine Basisausbildung absolviert haben oder zumindest keine in vergleichbarer Qualität. Viele haben den Übergang ungeplant und unvorbereitet oft auch chaotisch und unüberlegt erlebt. Sie haben auf das reagiert, was gerade „aufgepoppt“ ist, wenn sie z. B. mit Forderungen der Mitarbeiter oder ihres Chefs konfrontiert wurden. Aber sie waren nicht darauf vorbereitet.
Da wird unterschätzt, dass „Führungskraft“ auch ein Beruf ist – mit Aufgaben, Tools, Grundsätzen und einem passenden Mindset.
Um Erfolg zu haben, braucht man wie für andere Berufe auch eine systematische Ausbildung. Bei Führungskräften glaubt man oft, darauf verzichten zu können. Dazu kommt, dass jede Führungskraft eine Multiplikator-Wirkung hat. Führungsfehler haben daher eine sehr starke Auswirkung. Viele Unternehmen unterschätzen das. Die Schwierigkeiten verschärfen sich, weil auch die Chefs der neuen Führungskräfte ihre Hausaufgaben oft nicht gemacht haben. Als Chef sollte man der neuen Führungskraft die Führungssituation relativ einfach gestalten. Das ist meist nicht der Fall.
Durch die Altlasten vom alten Chef?
OP: Genau, und der Neue muss da jetzt aufräumen. Da ist vielleicht einer gekündigt worden und vieles ist offengeblieben. Oder es ist irgendwo ein Mitarbeiter, den keiner haben wollte und den er jetzt zugeschanzt bekommt. Die Neuen besitzen noch keine Führungserfahrungen und bekommen oft die schwierigsten Führungsaufgaben.
Viele neue Führungskräfte besuchen den Lehrgang „Die ersten 100 Tage als Führungskraft“, in dem Sie vortragen. Können Sie uns einen Überblick geben, worum es geht?
Julia Pichler-Roßbach: Wir geben den Teilnehmern ein Rüstzeug für die ersten 100 Tage in der neuen Führungsposition. Die meisten neuen Führungskräfte werden ins kalte Wasser geworfen und wissen gar nicht, was auf sie zukommt. Man sollte diese Zeit schon auch strategisch angehen und die ersten 100 Tage nicht auf sich zukommen lassen, sondern im Vorfeld bereits darauf achten, was zu klären ist.
OP: Im ersten Modul bearbeiten wir zentrale Führungsthemen, die sie unbedingt brauchen, um den Beginn ihrer Führungslaufbahn strategisch planen zu können. Sie sollten dabei auch auf die wichtigsten Herausforderungen und Probleme, die mit dem Übergang verbunden sind, vorbereitet sein. Wir arbeiten auch mit konkreten Fällen und Beispielen. Die Teilnehmer diagnostizieren ihre zentralen Herausforderungen und kommen mit konkreten Lösungsvorschlägen und einem Aktionsplan vom Seminar zurück.
Gute Kommunikation ist zentral für Führung.
Im zweiten Modul lernen sie dann, wie sie die Inhalte kommunikativ umsetzen können. Es werden die verschiedenen Führungsgespräche, die neue Führungskräfte führen müssen, geübt: Gespräche mit ihren Mitarbeitern, mit ihrem Chef und anderen wichtigen Personen. Auch Konfliktgespräche gehören dazu.
Im dritten Modul lernt man sich selbst besser kennen. Die Diagnose der eigenen Persönlichkeit ist die Basis für eine professionelle Ausgestaltung des eigenen Führungsstils und erhöht die eigene Ich-Stärke. Stichwort „authentischer Führungsstil“: Authentisch führen kann ich nur, wenn ich selbst weiß, wer ich bin. Die eigene Persönlichkeit ist wahrscheinlich das wichtigste Führungstool. Führung wird oft als „bewusste und zielbezogene Beeinflussung“ definiert. Beeinflussen und überzeugen kann ich am wirkungsvollsten durch die eigene Persönlichkeit.
JPR: Man wirkt ja als Person. Wenn mir die Mitarbeiter nicht vertrauen und mir nicht glauben, dann bin ich nicht authentisch und ich werde auch nicht viel Erfolg haben. Das vierte Modul ist das Follow-up, wo wir nochmal schauen, nachdem einige Zeit vergangen ist: Wie geht es mir in meiner neuen Position als Führungskraft? Was wäre jetzt der nächste Schritt? Wir behandeln aber auch Zusatzthemen, die von den Teilnehmern kommen. Das ist ganz oft der Umgang mit dem Chef, Change-Management oder Teamentwicklung.
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Starthilfe für neue Führungskäfte
Lehrgang Die ersten 100 Tage als Führungskraft
Kompetenzaufbau für neue Führungskräfte
Der Übergang zu einer Führungskraft ist einer Transition gleichzusetzen
Welche Kompetenzen sind beim Übergang vom Mitarbeiter zur Führungskraft wichtig?
OP: Der Übergang von einer Stelle zu einer anderen ist schon oft nicht leicht. Aber der Übergang vom Mitarbeiter zu einer Führungskraft ist ein bedeutender Übergang, man nennt das eine „Transition“, so wie beispielsweise der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen oder der Berufseintritt. Diese Übergänge sind die schwierigsten, oft auch identitätsverändernd und können das Leben grundlegend verändern. So eine Transition erfolgt nicht von heute auf morgen. Sie braucht neben einem Abschied von der alten Position und einem Ankommen in der neuen eine Zwischenphase. Man ist in seinem Bewusstsein nicht mehr Mitarbeiter, aber auch noch nicht wirklich Führungskraft.
Wie wichtig sind soziale Kompetenzen in einer Führungsrolle und wie kann man sie weiterentwickeln?
JPR: Soziale Kompetenzen in der Führungsrolle sind sehr wichtig und werden auch immer wichtiger werden. Wir machen auch viele Seminare über die neue Generation, die Generation Z. Gerade wenn man hier nicht wirklich aufpasst, wie man spricht, genug Feedback und Wertschätzung gibt, gehen die Mitarbeiter in kürzester Zeit wieder. Wenn man Mitarbeiter halten möchte, dann sollte man tunlichst soziale Kompetenzen aufbauen. Auch das Top-Management, also das gesamte C-Level wie CEOs und CFOs betont jetzt, wie wichtig Empathie ist.
Wenn Führungskräfte scheitern, liegt das fast nie an fachlichen Kompetenzen, sondern in erster Linie an sozialen.
Stichwort: Die neue Kommunikation – vorher als Kollege, dann als Führungskraft – ist ein großes Thema. Welche Fehler sollte man hier vermeiden?
OP: Was wir schon angesprochen haben: Wichtig ist kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Mit seinen Mitarbeitern, seinen Chefs, seinen Kollegen. Es gibt den Spruch „Führen ist Kommunikation“ und tatsächlich besteht ein großer Teil der Führung aus Kommunikation. Da gehört auch das Erwartungsmanagement dazu. Ich sollte als Führungskraft wissen, was mein Chef wirklich von mir erwartet, meine Mitarbeiter, meine Kunden und auch andere Stakeholder.
Wertschätzende Kommunikation ist ein Muss. Abwertungen, Vorwürfe und von oben herab kommunizieren vergiften Beziehungen und erschweren oder verhindern sogar wirksame Führung. Auch zu kollegiale Kommunikation kann Führung erschweren, vor allem wenn sie dazu führt, dass die Führungskraft versucht, Kollege zu bleiben und auf die Führungsaufgaben „vergisst“. Die Führungskraft muss Arbeiten verteilen, delegieren, das Team gut aufeinander abstimmen usw. Trotzdem sollte man relativ offen kommunizieren. Es gibt sogar Ansätze, die betonen, Führungskräfte sollten sich auch angreifbar machen, vulnerabel sein. Dann zeigt man, dass man Vertrauen zu den Mitarbeitern hat, Vertrauen, dass sie das nicht ausnutzen.
Ein anti-autoritärer Führungsstil?
OP: Nein, ein Führungsstil, der vertrauensvoll und wirksamer ist. Dazu benötigt man allerdings auch passende, „reife“ Mitarbeiter.
Vorbereitung ist das wichtigste bei Mitarbeiter- und Chefgesprächen
Welche Tipps haben Sie für Mitarbeitergespräche und für Gespräche mit dem Chef?
JPR: Das Wichtigste ist, dass man überhaupt vorbereitet ist. Daran scheitert es meistens. Viele nehmen sich keine Zeit für die Vorbereitung auf das Mitarbeitergespräch. Aber beim Mitarbeitergespräch sollte die Vorbereitung mindestens so lange dauern wie das Gespräch selbst. Man sollte schon ein, zwei Stunden im Vorfeld überlegen, was möchte ich überhaupt, was habe ich mit dem Mitarbeiter vor, wo soll er in einem Jahr oder in drei Jahren stehen? Wie zufrieden war ich mit ihm?
Vielen Führungskräften gebe ich auch den Tipp: Schaut, was positiv war. Also nicht nur die Fehler aufzeigen, sondern auch, womit ich sehr zufrieden im vergangenen Jahr war.
Und beim Chef muss man sich bewusst machen: Ein Chef hat nicht viel Zeit. Wenn man ein Gespräch mit seinem eigenen Vorgesetzten hat, sollte man das effizient gestalten. Gut vorbereiten, auch in dem Sinne, dass man den Chef gut vorbereitet, und sagt: „Ich würde gerne über das oder jenes Thema sprechen.“ Und nicht nur: „Ich hätte gerne einen Termin.“ Und beim Gespräch mit dem Chef ist auch wichtig, welchen Typ von Chef habe ich? Ist das jemand, der gerne lange und ausführlich informiert werden möchte oder lieber kurz und prägnant? Einer der sagt, mir reichen ein paar Stichworte oder einer, der es ganz genau wissen möchte. Und braucht er das schriftlich oder eine Liste, damit er das verfolgen kann, was ich ihm sage. Oder will er das lieber mündlich und erzählerisch informiert werden? Also so gut wie möglich den Chef kennenlernen und wie die Information, die ich für ihn habe, am besten ankommt.
OP: Wenn es schwierige Gespräche sind, dann ist auch eine „empathische Vorbereitung“ gut. Man soll sich vor dem Gespräch in sein Gegenüber hineinversetzen. Wie wird er das Ganze sehen, was sind seine Interessen und was braucht er? Und wie würde ich das sehen, wenn ich Chef wäre? Dasselbe gilt natürlich für die jährlichen Mitarbeitergespräche.
In Ihrem Seminar ist auch zu lesen: „Man muss sich selbst führen als Basis, um andere zu führen.“ Wie ist das gemeint?
OP: Wenn ich mich als Führungskraft nicht selbst führen kann, dann herrscht in mir und in meiner Arbeitssituation ein unregulierter z. B. chaotischer oder außer Kontrolle geratener Zustand. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Führungskräfte mit großen unbeherrschbaren Stimmungsschwankungen zur Arbeit kommen. Die Mitarbeiter fragen sich dann oft: „Kann man heute mit ihr reden, oder soll man sie besser nicht ansprechen?“ In so einem inneren Zustand ist man eigentlich für Führungsaufgaben nicht geeignet.
Das heißt auch, Selbstmanagement und Selbstentwicklung sind enorm wichtig. Selbstmanagement betreffen z. B. die Fragen: Wie gehe ich mit Stress, mit Zeit, mit der Zukunft um? So wie gute Führungskräfte darauf achten sollten, den Wert ihres Führungsbereichs laufend zu erhöhen, so sollten sie auch ihren eigenen, persönlichen Wert erhöhen. Daher sollten sie auf ihr Selbstmanagement achten, z. B.: Was sind meine langfristigen Lebensziele? Wie wichtig ist mir Gesundheit? Wie wichtig ist mir meine Familie? Nicht selten klaffen hier Anspruch und Realität weit auseinander: „Gesundheit steht bei mir an oberster Stelle“, sagen manche, „aber leider habe ich dafür keine Zeit.“ Wenn ich meinen wichtigen persönlichen Zielen keine Beachtung schenke, kann man oft davon ausgehen, dass ich es auch im beruflichen Bereich nicht mache. Führungskräfte sollten daher immer auf einem Entwicklungspfad sein, einen langfristigen Entwicklungsplan haben, so wie sie es hoffentlich auch für ihre Mitarbeiter haben.
Über den authentischen Führungsstil haben wir schon gesprochen. Gibt es ihn in der Vielfalt der Führungsstile wirklich?
JPR: Es gibt nicht den Katalog von zwölf oder 20 oder 100 Stilen. Das ist ja ganz etwas Spezielles. Ich glaube, wichtig ist es als Führungskraft, dass man sich bewusst ist, was meine Stärken sind, wo ich gut bin und wo ich etwas bewirken kann. Und was ich lieber bleiben lassen sollte und was mir nicht so liegt. Und auch, was meine Werte sind.
Die Kombination daraus, was mir wichtig ist und was ich gut kann, ergibt meinen Führungsstil.
Das sollte natürlich auch zu den Mitarbeitern passen. Ich werde mich aber auch etwas anpassen müssen, denn jeder Mitarbeiter braucht etwas anderes. Manche brauchen eine enge Führung und mehr Anleitung, manche brauchen mehr Freiheit. So schön der authentische Führungsstil wäre, das spielt es nicht. Man muss schon auch flexibel sein, je nach der Art meiner Mitarbeiter und der Situation, und den Führungsstil anpassen.
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Führungskraft muss mit Freude führen wollen
Abschließend die Frage: Was macht eine gute Führungskraft aus?
JPR: Schwierige Frage. Ich würde das gar nicht so sagen, dass man das über Eigenschaften zuschreibt. Ich glaube, die Führungskraft muss wollen. Sie muss wirklich führen wollen. Also nicht wegen des Geldes oder des Prestiges oder damit es nicht jemand anderer macht, sondern mit Freude daran, dass man Verantwortung übernimmt und dass man etwas Positives bei den Mitarbeitern bewirken und Unternehmensziele umsetzen kann.
OP: Ich finde die Frage auch schwierig. Das kann man allgemein gar nicht beantworten. Das war früher mal so, dass man die „Great Man Theory“ hatte, die Theorie vom großen Mann, vom Helden. Aber wer eine gute Führungskraft in der Produktion ist, muss noch lange keine gute Führungskraft in der Werbeabteilung sein.
Eine Antwort könnte eine weltweite Studie, die „GLOBE-Studie“ geben. Hier wurden in allen großen Kulturkreisen der Welt Mitarbeiter und Führungskräfte befragt. Das wichtigste Führungsideal war fast überall die Integrität: Das, was man sagt, auch zu leben. „Walk the Talk“, sagen die Amerikaner dazu. Das zweite ist Inspiration. Kann ich einen Spirit reinbringen in das Team? Der dritte Punkt ist, ob ich auch eine Vision für meine Abteilung und für meine Mitarbeiter habe? Wo will ich mich mit meinem Führungsbereich hin entwickeln? Da gilt dasselbe, wie wir vorher schon gesagt haben. Es gilt nicht nur für eine Bootsfahrt flussaufwärts: Wer stehenbleibt, der fällt zurück.
Ein neues Führungsmerkmal ist gerade im Kommen, die Ambiguitätstoleranz, das heißt, eine Toleranz und ein positiver Umgang mit Unsicherheit, Ungewissheit und Mehrdeutigkeit. Die derzeitigen globalen Veränderungen, Pandemien, Krisen, Kriege usw. schaffen auch für viele Organisationen eine Situation mit vielen Unwägbarkeiten. Wir wissen nicht, wohin das führen wird und wie alles ausgehen wird. Für Führungskräfte wird es schwieriger, den richtigen Zeitpunkt für ihre Entscheidungen zu finden, und es ist notwendig, die Dinge eine gewisse Zeit „in Schwebe halten zu können“. In therapeutischen Kreisen spricht man auch von „der Kunst des Zögerns“. Die Situation stärker auszuloten, Hypothesen zu bilden und Ungewissheiten aufrechtzuerhalten wird wichtiger. Der Spruch über Führungskräfte „oft falsch, aber niemals in Zweifel“ wird immer weniger akzeptabel. Führungskräfte sollten bereit sein, eine innere Spannung, die Unsicherheit einer akzeptablen Entscheidung aufrechtzuerhalten und wenn notwendig, Entscheidungen rasch zu revidieren und an die Erfordernisse neuer Situationen anzupassen.