Skill Management im betrieblichen Kontext: Interview

Carina Ebli-Korbel ist leidenschaftliche Personalentwicklerin und Expertin für Learning Development. In unserem Interview erklärt sie den Aufbau und die Vorteile einer Skill-basierten Organisation.
Was verstehen Sie unter Skill Management im betrieblichen Kontext – und wie hat sich dieses Verständnis in den letzten Jahren verändert?
Skill Management im betrieblichen Kontext ist weit mehr als die reine Erfassung von Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Es ist ein strategischer Ansatz, der darauf abzielt, die vorhandenen Fähigkeiten innerhalb einer Organisation systematisch zu identifizieren, zu bewerten, zu entwickeln und optimal einzusetzen. Dabei geht es nicht nur darum, die richtigen Personen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu positionieren.
Wichtiger ist, die Mitarbeitenden so einzusetzen, dass sie ihr Potenzial entfalten und das einbringen können, was ihnen wirklich wichtig ist. Motivation, Engagement und Sinnhaftigkeit sind dabei genauso relevant wie fachliche Passung. Wer seine Stärken einbringen darf, handelt nicht nur effizient, sondern auch mit Begeisterung. Skill Management schafft genau die Bedingungen, unter denen Mitarbeitende mit Freude arbeiten und Organisationen nachhaltig erfolgreich sind.
In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Skill Management dramatisch gewandelt. Früher wurde es oft als eine einfache Liste von Qualifikationen gesehen, die vor allem für die Personalverwaltung wichtig war und sich auf Abschlüsse und Zertifikate beschränkte. Heute ist Skill Management idealerweise ein dynamischer und agiler Prozess, der sich kontinuierlich an die sich schnell ändernden Marktbedingungen anpasst.
Traditionelle Jobprofile verlieren an Bedeutung, weil sie zu starr sind. Stattdessen zählen heute individuelle Skills und Kompetenzen, die flexibel angepasst werden können. Dies erlaubt es, nicht nur die für die aktuelle Rolle benötigten Skills zu vermerken, sondern auch Fähigkeiten zu berücksichtigen, die auf Interessen und Fertigkeiten der Personen außerhalb ihrer direkten Aufgaben basieren. Insbesondere sogenannte Future Skills, wie beispielsweise im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder Nachhaltigkeit, erhalten so mehr Raum und können proaktiv aufgebaut werden.
Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie nicht nur die Skills für heutige Aufgaben benötigen, sondern proaktiv die Fähigkeiten für die Herausforderungen von morgen aufbauen müssen. Dies beinhaltet eine stärkere Betonung von Soft Skills, digitalen Kompetenzen und der Fähigkeit zum lebenslangen Lernen. Der Wandel von einer reaktiven zu einer proaktiven, strategischen und zukunftsorientierten Perspektive ist dabei entscheidend.
Was ist der Unterschied zwischen Skills und Kompetenzen?
Obwohl die Begriffe „Skills“ und „Kompetenzen“ oft synonym verwendet werden, gibt es einen feinen, aber wichtigen Unterschied. In der Literatur gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen und Definitionen. Für mich sind Skills spezifische, erlernbare Fähigkeiten, die messbar und oft technisch oder funktional sind. Beispiele hierfür sind Programmierkenntnisse in Python, die Fähigkeit, eine bestimmte Software zu bedienen, oder Fremdsprachenkenntnisse. Sie sind das „Was“ einer Fähigkeit.
Kompetenzen hingegen sind umfassender und beschreiben die Fähigkeit, Skills in verschiedenen Kontexten erfolgreich anzuwenden und zu kombinieren, um komplexe Aufgaben zu lösen und gewünschte Ergebnisse zu erzielen. Sie umfassen nicht nur fachliches Wissen und Fertigkeiten, sondern auch persönliche Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen. Beispiele für Kompetenzen sind Problemlösungskompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit oder Führungskompetenz. Sie sind das „Wie“ und „Warum“ der Anwendung von Skills.
Dennoch ist die Definition in der Literatur eine andere Wahrheit als die Definition in Organisationen. Ich empfehle hier immer in Anlehnung an die Literatur einen Workshop in der Organisation durchzuführen, um ein gemeinsames Verständnis über das Vokabular abzuleiten. Es macht wenig Sinn, fertige Begriffe von außen in die Organisation zu bringen, wenn sie dann am Ende nicht anschlussfähig im eigenen Unternehmen sind.
Wie kann man benötigte Skills in einem Unternehmen definieren?
Die Definition benötigter Skills in einem Unternehmen ist immer individuell zu betrachten und ein mehrstufiger Prozess. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, es ist eine lange Reise, die man nicht unterschätzen sollte. Sie hat wesentlich mehr mit Change Management zu tun, als mit der technischen Umsetzung einer Skilllandschaft in einer Organisation.
Es ist schwer hier eine generische Antwort zu geben. Wichtig ist es sicher, den Entwicklungsprozess sich wiederholend zu gestalten und sich in Loops vorwärts zu bewegen. Der erste Schritt ist sicher das Alignment zwischen HR, Geschäftsführung und Business, gemeinsam den Weg zu gehen.
Der Entwicklungsprozess ist selten linear und erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen HR, Führungskräften und Mitarbeitenden. Er beinhaltet typischerweise die strategische Ableitung von Skill-Bedürfnissen aus den Unternehmenszielen, eine zukunftsorientierte Analyse, um auch morgen relevante Skills zu identifizieren, sowie die kontinuierliche Anpassung und Validierung der Skill-Definitionen. Es ist ein fortlaufender Dialog, der eine hohe Anpassungsfähigkeit und Offenheit für Veränderungen erfordert.
Skills
Wie ist eine Skill-basierte Organisation aufgebaut?
Wer an Skill-basierte Organisationen denkt, denkt oft direkt an Skill Gap Analysen, Trainingsempfehlungen und damit einhergehend gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten. Doch Skill Management kann so viel mehr sein, als reiner Enabler für Weiterbildung. Ganz generell stellt es nicht die formale Rolle oder die Position in den Mittelpunkt, sondern das Potenzial, die Skills und Fähigkeiten einer Person. Wir gehen weg von statischen Stellenbeschreibungen hin zu einem dynamischen Verständnis von Fähigkeiten, die flexibel einsetzbar und kontinuierlich weiterentwickelbar sind.
Daraus ergeben sich unterschiedliche Anwendungsfälle, die über reine Weiterbildungs-Use Cases hinausgehen. Im Kern bedeutet das: Entscheidungen zu Projektbesetzung, Weiterbildung, Karrierepfaden oder Vergütung basieren nicht mehr ausschließlich auf Hierarchie oder Dienstjahren, sondern auf der tatsächlichen Fähigkeit, einen Beitrag zu leisten – heute und in Zukunft.
Statt auf klassische Strukturen zu setzen, etabliert eine Skill-basierte Organisation:
- Transparenz über vorhandene und benötigte Skills
- Interne Talentmobilität, die Mitarbeitende dazu ermutigt, sich dort einzubringen, wo ihre Fähigkeiten gerade gebraucht werden – unabhängig von ihren derzeitigen Rollen
- Lernökosysteme, die Mitarbeitenden ermöglichen, ihre Kompetenzen kontinuierlich entlang strategischer Entwicklungsfelder auszubauen
- Führung neu gedacht: Führungskräfte verstehen sich als Enabler, die gemeinsam mit HR Skill-Gaps sichtbar machen, Entwicklung ermöglichen und Skills strategisch entwickeln
- Skill-basiertes Matching, nicht nur für Projekte, sondern auch für Lernangebote, Mentoring oder Rollenentwicklungen
Eine Skill-basierte Organisation zu werden, ist keine Frage von Software oder neuen Jobtiteln. Es ist ein kultureller Wandel. Sie verlangt nach Transparenz, Vertrauen, Partizipation und der Bereitschaft, Verantwortung neu zu denken. Weg von Aufgabenverteilung nach Jobbeschreibung, hin zu einem fluideren, menschenzentrierten Modell.
Welche Voraussetzungen müssen auf organisatorischer Ebene gegeben sein, damit Skill Management nicht nur als HR-Projekt, sondern als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie funktioniert?
Damit Skill Management seine strategische Wirkung entfalten kann, braucht es auf organisatorischer Ebene vier zentrale Voraussetzungen:
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Eine klar formulierte Intention
Bevor Prozesse, Tools oder Verantwortlichkeiten definiert werden, muss die grundlegende Frage beantwortet sein: Was wollen wir mit Skill Management überhaupt erreichen? Es braucht ein gemeinsames Verständnis darüber, welchen Beitrag Skill Management zur Zukunft der Organisation leisten soll – und welche Veränderungen damit einhergehen. Ohne diese strategische Klarheit bleibt es bei Einzelmaßnahmen ohne Richtung.
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Das Commitment der Unternehmensführung
Skill Management darf kein Thema von HR allein sein. Es muss auf oberster Ebene mitgetragen werden. Die Frage, welche Fähigkeiten für die Umsetzung der Unternehmensstrategie notwendig sind, heute als auch morgen, muss Businesssache sein. Nur so wird Skill Management in der Organisation verankert und nicht als reines HR-Projekt wahrgenommen.
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Die Anschlussfähigkeit an die Unternehmenskultur
Die beste Intention nützt wenig, wenn sie in der bestehenden Kultur keinen Boden findet. Deshalb braucht es ein Bewusstsein dafür, wie in der Organisation bisher über Fähigkeiten, Entwicklung und Rollen gesprochen wird und ob das, was neu eingeführt wird, daran anschlussfähig ist oder gezielt einen kulturellen Wandel einleiten muss. Skill Management darf nicht gegen die Kultur wirken, sondern muss sie bewusst mitgestalten.
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Eine organisationsweite Verantwortung der Umsetzung
Damit Skill Management wirksam wird, müssen HR, Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam in die Umsetzung gehen. HR kann Impulse setzen und Prozesse aufsetzen, aber die Fachbereiche kennen die Anforderungen. Führungskräfte sind zentrale Akteure bei der Identifikation und Entwicklung von Skills und Mitarbeitende müssen die Chance und den Raum bekommen, sich aktiv einzubringen.
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Wie gelingt es, Führungskräfte und Mitarbeitende nachhaltig in das Skill Management einzubinden?
Wer mich kennt weiß, dass ich ein großer Fan von Design Thinking bin. Für mich sind meine Kolleg*innen aus dem Business meine Kund*innen und ich helfe Ihnen dabei, Ihre Probleme zu identifizieren und gestalte gemeinsam mit ihnen maßgeschneiderte Lösungen. Das ist meiner Meinung auch der Schlüssel, um Alignment in Projekten zu schaffen.
Wir holen die Personen stets dort ab, wo sie stehen und beschäftigen uns mit ihren Herausforderungen. HR sollte nicht ein Konzept zu Skill Management hinter dem Rücken hervorzaubern, sondern Gespräche mit dem Business führen, um herauszufinden, wo der Schuh drückt. Erst wenn der konkrete Pain im Business sichtbar wird, entsteht Relevanz und damit auch die nachhaltige Bereitschaft, sich auf neue Konzepte einzulassen.
Das schafft nicht nur Vertrauen, sondern macht Projekte anschlussfähig. Und zwar nicht nur beim Thema Skill Management, sondern in jedem strategisch relevanten Veränderungsprozess.
Wie verändern sich Anforderungen an Skill Management durch Themen wie New Work, Agilität oder hybride Arbeitsformen?
Bis jetzt hatten die meisten Organisationen im Dach-Raum kein Skill Management. Wenn sie eines hatten, wurde es meistens nur auf administrativer Ebene zur aktuellen Trainingsermittlung genutzt. Daher muss Skill Management zukünftig flexibler, individueller und kontinuierlicher verwendet werden.
In agilen und hybriden Arbeitswelten sind starre Jobprofile zu ungenau. Gefragt sind situativ einsetzbare Fähigkeiten und die Bereitschaft, sich schnell auf neue Anforderungen einzustellen. Auch Selbstorganisation und Eigenverantwortung rücken stärker in den Fokus.
Das bedeutet: Wir müssen Skill Management so gestalten, dass es nicht nur Transparenz schafft, sondern auch zur Selbststeuerung befähigt – zum Beispiel durch individuelle Skill-Profile, adaptive Learning-Angebote und Tools, die Mitarbeitende selbstbestimmt nutzen können. New Work braucht nicht mehr Kontrolle, sondern mehr Orientierung und Räume zur Entfaltung.
Wie schätzen Sie den Einsatz von KI-gestützten Skill-Plattformen ein – z. B. in Bezug auf Skill-Matching, Personalplanung oder Learning Journeys?
Ich sehe darin ein enormes Potenzial, wenn wir es klug einsetzen. KI kann helfen, Muster zu erkennen, Zusammenhänge sichtbar zu machen und Entscheidungen objektiver zu treffen. Beim Matching, bei Learning Journeys oder bei der strategischen Planung zukünftiger Skills leistet sie heute schon wertvolle Dienste.
Aber, und das ist wichtig, sie ersetzt nicht den Dialog, sie ergänzt ihn. KI ist ein Enabler, kein Autopilot. Die besten Ergebnisse erzielen wir dort, wo Technologie und menschliche Einschätzung Hand in Hand gehen.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Praxis teilen, in dem Skill Management einen konkreten Mehrwert gebracht hat?
Ja, ein Beispiel, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, stammt aus einem Tech-Unternehmen, das ich beraten habe. Das Unternehmen litt an dem hohen Veränderungsdruck und es war klar, dass man sich neue Fähigkeiten entsprechend neuer Technologien und Anforderungen aneignen muss. Wenig Klarheit herrschte über die vorhandenen Skills und Kompetenzen. Wir haben gemeinsam mit dem Business eine einfache Skill Matrix entwickelt, in der die Mitarbeitenden ihre aktuellen Fähigkeiten, aber auch ihre Interessen eintragen konnten.
Die Führungskräfte haben darauf aufbauend Entwicklungsziele definiert, die sowohl zur Strategie passten, als auch individuelle Stärken berücksichtigen. Innerhalb von sechs Monaten konnten wir mehrere interne Mobilitäten realisieren, ein gezieltes Lernangebot entwickeln und das Team für ein neues Projekt und auch einen neuen Geschäftsbereich fit machen, ohne externe Neueinstellungen. Das hat nicht nur Ressourcen gespart, sondern auch das Vertrauen ins eigene Potenzial gestärkt.
Welche typischen Fehler oder Missverständnisse beobachten Sie in Unternehmen beim Thema Skill Management – und wie lassen sie sich vermeiden?
Ein häufiger Fehler ist, dass Skill Management als reines HR-Projekt verstanden wird und zwar nicht nur vom Business, sondern auch von HR selbst. HR meint es gut, krempelt die Ärmel hoch und startet mit viel Engagement, aber oft, ohne das Business wirklich einzubinden. Es wird zwar darüber informiert, findet das Thema spannend, fühlt sich aber selten als aktiver Mitgestalter.
Am Ende entsteht ein Konzept, das technisch sauber ist, aber inhaltlich nicht auf die konkreten Herausforderungen im Business einzahlt. Der Mehrwert bleibt diffus, die Akzeptanz entsprechend begrenzt und das Projekt fliegt nicht.
Ein zweites, sehr typisches Missverständnis ist der Wunsch nach der „eierlegenden Wollmilchsau“. Unternehmen versuchen, mit einer einzigen Skill Logik sämtliche Anwendungsfälle abzudecken, von Recruiting über Weiterbildung bis hin zu Workforce Planning. Doch jeder dieser Use Cases hat andere Anforderungen an Tiefe, Struktur oder Aktualität der Skill Daten. Das führt schnell zu Überforderung oder verwässerten Standards.
Mein Rat ist daher, lieber klein anfangen, Use Case für Use Case sauber durchdenken und dabei bewusst unterschiedliche Anforderungen zulassen. Ein systematisches Vorgehen ist nachhaltiger als der Versuch, gleich alles gleichzeitig zu lösen.
Der Weg dorthin ist kein Sprint, sondern eine unternehmensweite Transformation. Wer ihn geht, schafft eine resiliente, lernende Organisation mit Blick nach vorne.