Aktuelle Herausforderungen in der Liegenschaftsbewertung

Die Bewertung von Liegenschaften ist durch aktuelle wirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen komplexer geworden. Sachverständige stehen vor neuen Herausforderungen, die sowohl den österreichischen Immobilienmarkt als auch die verschiedenen Bewertungsverfahren beeinflussen. Die Wahl des richtigen Verfahrens – sei es das Vergleichswertverfahren, Sachwertverfahren oder Ertragswertverfahren – erfordert tiefgehende Fachkenntnisse, um den komplexen Marktbedingungen gerecht zu werden.

Einflüsse der Corona-Pandemie und steigender Inflation

Zunächst ist die Corona-Pandemie zu nennen, in deren Verlauf der „Run“ auf Immobilien dazu geführt hat, dass die Preise für die meisten Immobilien-Kategorien drastisch gestiegen sind. Des Weiteren wurde die bereits in dieser Zeit deutlich anziehende Inflation durch den Beginn des Ukraine-Krieges und die damit in Zusammenhang stehenden weltweiten Verwerfungen, zum Beispiel im Bereich der Gas- und Strompreise, noch mehr befeuert. Zwischenzeitig haben sich die Inflationsraten in den meisten europäischen Ländern zwar wieder in Richtung eines verträglichen Ausmaßes entwickelt, doch bleiben die Auswirkungen der höheren Preise vor allem in der Baubranche spürbar. Um die Inflationsraten wieder unter Kontrolle zu bringen, wurden einige Maßnahmen ergriffen.

Zinssteigerungen und verschärfte Kreditvergabekriterien

So hat beispielsweise die EZB die Zinsen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes von null Prozent auf über vier Prozent angehoben. Weiters wurden in Österreich die Kriterien für die Vergabe von Krediten an Privatpersonen durch die sogenannte KIM-Verordnung verschärft. Diese beiden Punkte haben dazu beigetragen, dass die Finanzierung der Anschaffung von privatem Wohnraum für immer weniger Personen erschwinglich geworden ist. In informellen Gesprächen berichten Bankenvertreter davon, dass die Anfragen nach derartigen Krediten um bis zu 70 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen seien. Summa summarum lässt sich also sagen, dass es gerade in den letzten Jahren zu einer problematischen Mischung aus hoher Inflation, rasch gestiegenen Zinsen, deutlich erhöhten Baupreisen und einer nur zaghaft wachsenden Wirtschaft gekommen ist. Diese Gemengelage war und ist natürlich für jeden Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr schwierig, gleichviel, ob es sich um ein Bauunternehmen, einen Bauträger, eine Bank, einen Immobilieninvestor oder einen Endverbraucher handelt.

Differenzierte Entwicklungen in den Teilmärkten

Was den österreichischen Immobilienmarkt in seiner Gesamtheit betrifft, ist es aber kaum möglich, allgemeine Aussagen zu treffen, denn zu unterschiedlich waren bzw. sind die Entwicklungen auf den jeweiligen Teilmärkten bezüglich der Immobilienbewertung. Einerseits gibt es Teilbereiche des inländischen Immobilienmarktes, auf welchen die Preise aufgrund der bereits genannten Zusammenhänge zum Teil deutlich gefallen sind, beispielsweise bei Zins- oder Einfamilienhäusern. Andererseits lassen sich aber auch Teilbereiche ausmachen, die bislang keine Preisrückgänge, sondern eher eine Stagnation verzeichnet haben, wie etwa neu gebaute Eigentumswohnungen. Verkompliziert wird die Sache weiters dadurch, dass immer auch auf die jeweilige Region bzw. die konkrete Lage der Immobilie zu achten ist. Betrachtet man nun die drei häufigsten Verfahren zur Immobilienbewertung, so lassen sich weitere Herausforderungen feststellen.

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Herausforderungen der Bewertungsverfahren

Jedes Verfahren bringt spezifische Herausforderungen mit sich, die durch aktuelle Marktentwicklungen weiter verschärft werden und eine genaue Anpassung erfordern.

  • Vergleichswertverfahren

    1. Das Vergleichswertverfahren ist gemeinhin als das transparenteste Verfahren anerkannt. Denn hier fließen die Beobachtungen und Bewegungen des Marktes über die im konkreten Fall geeigneten Vergleichsobjekte in direkter Art und Weise in die Berechnung des Verkehrswertes ein. Sehr vereinfacht und verkürzt gesagt, wirken sich die Preissenkungen oder Erhöhungen der jeweils jüngeren Vergangenheit unmittelbar auf den Verkehrswert aus.
    2. Eine Herausforderung, die die Entwicklungen der letzten Jahre mit sich gebracht haben, ist die mitunter deutlich gesunkene Anzahl an Transaktionen. Dies macht es manchmal schwierig bzw. im Ausnahmefall sogar unmöglich, eine ausreichende Anzahl an geeigneten Vergleichsobjekten für die Bewertung einer konkreten Immobilie zu finden.

  • Sachwertverfahren

    1. Eine andere Problematik tritt beim Sachwertverfahren auf: Hier werden im Wesentlichen der Bodenwert, der Bauwert des Gebäudes und der Bauwert der sonstigen baulichen Anlagen zum Sachwert der Liegenschaft zusammengeführt. Da es sich beim Bauwert des Gebäudes typischerweise um die sogenannten Wiederherstellungskosten handelt, die vom Markt aber oftmals nicht abgegolten werden wollen, sind in diesem Zusammenhang typischerweise Korrekturen notwendig. Dieser Vorgang passiert üblicherweise über die Marktanpassung, die beispielsweise die Marktgängigkeit des konkreten Objekts berücksichtigen muss. Aufgrund der aktuell unübersichtlichen und schwer vorhersehbaren Lage am Immobilienmarkt stellt auch dies eine gegenwärtige Herausforderung bei der Immobilienbewertung dar.

  • Ertragswertverfahren

    1. Das Ertragswertverfahren betrifft vor allem Liegenschaften, die laufende Erträge abwerfen, daher zum Beispiel Zinshäuser oder vermietete Eigentumswohnungen. Nachdem der jährliche Reinertrag ermittelt wurde, wird dieser über die Barwertformel mit dem sogenannten Vervielfältiger multipliziert. Im Vervielfältiger stecken zwei Variablen, die Restnutzungsdauer und der Liegenschaftszinssatz (auch Kapitalisierungszinssatz genannt), wobei vor allem der Zinssatz eine große Auswirkung auf die Höhe des Vervielfältigers hat – und damit auch auf die Höhe des Verkehrswertes. Dabei gibt es eine umgekehrte Proportionalität: je kleiner der Zinssatz, desto größer der Vervielfältiger.
    2. Die Wahl des richtigen Zinssatzes ist eine schwierige und herausfordernde Aufgabe, die nun noch mehr Fingerspitzengefühl erfordert, da die potenziellen, zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Liegenschaft die konkrete Höhe des Zinssatzes beeinflussen. Die komplizierte und diffizile Lage am Immobilienmarkt sorgt also dafür, dass die Wahl bzw. Berechnung des richtigen Liegenschaftszinssatzes nochmals erschwert wird.

Fazit

Diese Beispiele werfen ein Schlaglicht auf die aktuellen bzw. zukünftigen Herausforderungen bei der Bewertung von Immobilien, die der Sachverständige zu überwinden hat. Die Bewertung von Liegenschaften bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe, die durch aktuelle wirtschaftliche und geopolitische Entwicklungen weiter erschwert wird. Die beschriebenen Herausforderungen verdeutlichen die Komplexität der aktuellen Marktlage und die Notwendigkeit, bei der Bewertung von Immobilien stets auf dem neuesten Stand zu bleiben.

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Gerhard Schlüsselberger

Gerhard Schlüsselberger

Gerichtssachverständiger, Immobilientreuhänder und Unternehmensberater

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