„Die Erfolgsquote von Sanierungen in Österreich ist mit 30 Prozent relativ hoch“
Die ARS Akademie feiert heuer ihren 25. Geburtstag. Auch die Tagung Insolvenzrecht, deren fachlicher Leiter Hon.-Prof. Dr. Franz Mohr ist, findet vom 04. bis zum 06. Oktober 2022 zum bereits 25. Mal statt. Ein Interview mit dem Insolvenzrechtsexperten, der ein Teil der Erfolgsgeschichte beider Jubiläen, der ARS Akademie und der Tagung Insolvenzrecht, ist.
Wesentliche Reformen im Insolvenzrecht in den letzten 25 Jahren
Herr Prof. Mohr, wie hat sich das Insolvenzrecht in diesen 25 Jahren entwickelt?
In dieser Zeitspanne hat es wesentliche Reformen gegeben. Die Privatinsolvenzreform, die 1995 in Kraft getreten ist, hatte sich in der Praxis bewährt. Im Unternehmensinsolvenzrecht gab es wichtige Änderungen 1997 und 2010. Es wurde die Doppelgleisigkeit zwischen Konkurs und Ausgleichsverfahren beseitigt und ein einheitliches Insolvenzverfahren geschaffen. Neben diesen „großen“ Reformschritten hat es immer wieder Novellen gegeben, welche die Wünsche der Praxis umsetzten, etwa eine Straffung des Sanierungsplans. Damit wurde die Sanierung des Unternehmens statt einer Zerschlagung noch mehr in den Vordergrund gerückt. Bedeutsam für die Praxis war auch die genauere Regelung der Entlohnung des Insolvenzverwalters, während es vorher Gerichtspraxis war, wie viel Entlohnung der Insolvenzverwalter bekam. Und das Reformjahr 2021; Stichworte GREx und RIRUG.
Welche Bedeutung hatte das EU-Recht und Österreichs Beitritt 1995?
Die europäische Insolvenzverordnung war eine wichtige Weiterentwicklung. Einerseits die Wirkung österreichischer Verfahren im EU-Ausland, andererseits die Anerkennung europäischer Verfahren in Österreich. Die europäische Insolvenzverordnung hat damit neue Herausforderungen für die Insolvenzverwalter gebracht. Wie handhabt es ein Insolvenzverwalter in der Praxis, wenn er ein Boot in Kroatien des Schuldners auffindet und verwerten muss? Ein bedeutender Schritt war die Restrukturierungs- und Insolvenz-Richtlinie, die im letzten Jahr umgesetzt wurde. Weitere werden folgen.
„Es hat sich in Krisen immer gezeigt, dass die Insolvenzzahlen erst steigen, wenn die Wirtschaft wieder ankurbelt.“
Die Tagung Insolvenzrecht in Saalfelden
Welche besonderen Momente der Tagungen haben Sie in Erinnerung und wie erging es Ihnen bei der ersten Tagung als fachlicher Leiter?
Zuerst war ich immer nur Vortragender. Fachlicher Leiter bin ich jetzt seit fünf oder sechs Jahren. Die Tagung umfasst ja nicht nur Vorträge, sondern ein wesentlicher Aspekt sind die Diskussionen, die sich an die Vorträge anschließen und die immer wieder zusätzliche Erkenntnisse bringen. Besonders gern erinnere ich mich an die Freizeiterlebnisse. Einmal sind wir in Bad Gastein in der Nacht den Berg runtergerodelt. Ein anderes Mal haben wir bei Mondschein eine Fackelwanderung in Saalfelden gemacht. Ein weiterer Vorteil der Tagung ist, dass Teilnehmer und Referenten gemeinsam in einem Hotel untergebracht sind. Das erleichtert natürlich den Gedankenaustausch.
Was erwartet die Teilnehmer bei der Tagung Insolvenzrecht im Oktober? Welche Tendenzen und Perspektiven werden dort behandelt?
Ein Schwerpunkt sind die Neuerungen auf legislativer Ebene. Zum Beispiel das neue Pfandbriefgesetz und deren insolvenzrechtliche Regelungen. Es wird auch um eine Novelle des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes und um steuerrechtliche Aspekte gehen. Insolvenzrecht ist ja mehr als die Insolvenzordnung. Natürlich werden auch Entwicklungen in der Rechtsprechung behandelt, die Bedeutung für die Praxis haben.
Ein Ausblick auf die Insolvenzpraxis
Im Hinblick auf die eben angesprochenen Tendenzen und Perspektiven: Was kommt Ihrer Meinung nach auf die Insolvenzpraxis zu?
Die Anzahl der Insolvenzen steigt, wie erwartet. Wir sind jetzt wieder fast in einem Normalzustand nach einer Ebbe an Insolvenzen. Die Herausforderung wird – wie immer – sein, dass Insolvenzverwalter Unternehmen nicht schließen, sondern fortführen, damit es zu Sanierungsplänen kommen kann. Die Erfolgsquote von Sanierungen ist ja mit einem Drittel relativ hoch in Österreich. Wünschenswert wäre, dass es auch mehr Sanierungsverfahren gibt und dass auch das Restrukturierungsverfahren, das vorinsolvenzliche Lösungen ermöglicht, genutzt wird.
Was gibt es Neues bei der Entschuldung von Privatpersonen?
Neu ist seit dem Vorjahr, dass sich Schuldner mit einem Tilgungsplan unabhängig vom Willen der Gläubiger innerhalb von drei Jahren entschulden können und nicht mehr erst nach fünf Jahren. Das ist ein Instrument, das stark angenommen wird. Die meisten Schuldner nützen den Tilgungsplan und werden nach drei Jahren entschuldet. Die kurze Entschuldung steht nicht nur Privatschuldnern, sondern auch Einzelunternehmern offen und ist daher auch für das Insolvenzverfahren vor dem Gerichtshof von Bedeutung.
Wie sieht die aktuelle Insolvenz-Rechtsprechung aus?
In letzter Zeit gab es zwar etwas weniger, aber durchaus interessante Entscheidungen des OGH, etwa zu den Absonderungsrechten, zur Geltendmachung des Stimmrechts, wenn der Gläubiger Insolvenzgläubiger und Absonderungsgläubiger ist. Diese Entscheidung wird ebenso wie für die Praxis bedeutsame Entscheidungen der OLG im Rahmen eines Vortrags erörtert. Der Insolvenz-Talk bietet darüber hinaus die Möglichkeit, aktuelle Entscheidungen zu besprechen, die erst nach Fertigstellung des Programms ergangen sind.
Auswirkungen steigender Energiepreise
Welche Änderungen brachte Corona und wie sehr haben sich die Insolvenz-Zahlen seit dem Ausbruch im März 2020 verändert?
Corona hat dazu geführt, dass die Insolvenz-Zahlen eingebrochen sind. Es hat sehr wenige Insolvenzverfahren gegeben, weil viele Unternehmen aufgrund der staatlichen Maßnahmen Unterstützung bekamen. Nach deren Auslaufen ist jetzt ein Aufholbedarf gegeben. Insolvenzen werden auch sogenannte „Zombie-Unternehmen“ treffen, die am Leben erhalten wurden, ohne selbst überlebensfähig gewesen zu sein. Bei solchen Unternehmen ist natürlich eine Sanierung nicht möglich. Noch schlimmer: Fast immer wird es zu Abweisungen mangels Masse kommen, sodass nicht einmal ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Das ist aus Sicht der Gläubiger besonders bitter, weil sie nicht einmal eine kleine Quote bekommen. In allen anderen Fällen werden aber Sanierungspläne – wie üblich – häufig sein. Wenn die Wirtschaft wieder ankurbelt, sind die Sanierungschancen intakt, weil das Unternehmen die Mindestquote wieder aufbringen kann. Das hat sich in Krisen immer wieder gezeigt.
Fürchten Sie aufgrund der aktuellen Teuerungen eine Zunahme der Insolvenzen im kommenden Jahr? Was ist vor diesem Hintergrund Ihr Ausblick für 2023?
Ich glaube schon, dass die Teuerungen und steigende Kreditzinsen Auswirkungen haben werden und ein weiteres Ansteigen der Insolvenzzahlen bringen werden. Nicht alle Unternehmen können höhere Preise beim Einkauf und höhere Energiekosten an die Kunden weitergeben. In welchem Umfang dies der Fall sein wird, ist heute schwer abzuschätzen.