EU-Harmonisierung im Insolvenzrecht: Was kommt auf Österreich zu?

Vanessa Eriksson

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Die Europäische Union arbeitet an einer Harmonisierung ausgewählter Aspekte des Insolvenzrechts – ein Vorhaben, das tief in gewachsene nationale Systeme eingreift. Vanessa Eriksson, Expertin für Insolvenzrecht im Bundesministerium für Justiz, war intensiv in den Entstehungsprozess eingebunden. Die Vorsitzende der Insolvenzrechtsreformkommission und fachliche Leitung bei der ARS-Tagung Insolvenzrecht in Saalfelden im März 2026 erklärt im Interview, welche Ziele die EU verfolgt, welche Regelungsbereiche besonders praxisrelevant sind – und warum gerade das Pre-Pack-Verfahren neue Anforderungen an Insolvenzverwalter mit sich bringt.

Frau Eriksson, Sie begleiten die Entwicklungen im Insolvenzrecht seit mehreren Jahren auch auf europäischer Ebene. Welche Ziele verfolgt die EU mit der angestrebten Harmonisierung des Insolvenzrechts?

Nach Ansicht der Europäischen Kommission stellen die unterschiedlichen Insolvenzsysteme in den Mitgliedstaaten seit Langem ein strukturelles Hindernis für grenzüberschreitende Investitionen dar. Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts soll ein Beitrag zur Vollendung der Kapitalmarktunion gesetzt werden. Die Kapitalmarktunion ist das Vorhaben der EU, in der gesamten EU einen echten Binnenmarkt für Kapital zu schaffen, in dem Investitionen und Ersparnisse frei zwischen allen Mitgliedstaaten fließen können – zum Nutzen von Bürger*innen, Investoren und Unternehmen, unabhängig davon, wo sie angesiedelt sind.
Die Europäische Kommission erwartet, dass die Harmonisierung des Insolvenzrechts grenzüberschreitende Investitionen fördert – insbesondere in Start-ups – und damit das unternehmerische Potenzial innerhalb der Union besser zur Entfaltung kommt.

Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen zur geplanten EU-Richtlinie – und welchen Zeitrahmen sehen Sie für die Finalisierung und Umsetzung auf nationaler Ebene?

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2022 ihren Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts veröffentlicht. Seit Jänner 2023 fanden in Brüssel regelmäßig Sitzungen der zuständigen Ratsarbeitsgruppe statt, in der die Mitgliedstaaten durch nationale Expert*innen vertreten waren. Nach zweieinhalb intensiven Verhandlungsjahren einigten sich die Mitgliedstaaten im Juni auf einen Kompromisstext, der für die Mehrheit der Mitgliedstaaten – auch Österreich – annehmbar ist. Auch das Europäische Parlament hat im Juli im Plenum einen Text angenommen. Der sogenannte Trilog – also die Gespräche zwischen Kommission, Rat und Parlament mit dem Ziel, eine Einigung über den finalen Richtlinientext zu erzielen – hat bereits begonnen. Nach dem aktuellen Zeitplan der Gremien ist davon auszugehen, dass der endgültige Richtlinientext bis zur Tagung Insolvenzrecht im März 2026 veröffentlicht sein wird. Wir werden den Text im Rahmen der Tagung jedenfalls vorstellen und diskutieren.

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Der Vorschlag enthält Vorgaben für die Anfechtung von Rechtsgeschäften. Welche Auswirkungen erwarten Sie hier konkret für die Praxis?
Die österreichische Insolvenzordnung enthält bereits umfassende Regelungen zur Anfechtung von Rechtshandlungen.

Die Vorgaben im Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission sind diesen weitgehend ähnlich. Auch die Texte des Rates und des Europäischen Parlaments sehen keine wesentlichen Änderungen vor. Daher ist davon auszugehen, dass die erforderlichen Anpassungen im österreichischen Anfechtungsrecht nicht gravierend sein werden.

Die Richtlinie enthält auch Vorgaben zum erweiterten Zugriff auf Vermögenswerte und zur Insolvenzantragspflicht der Unternehmensleitung. Welche dieser Regelungsbereiche erachten Sie für die Praxis in Österreich als besonders bedeutsam – auch im Vergleich zur geltenden Rechtslage?

Die Richtlinie greift mehrere Themen auf, die bereits in ähnlicher Form in der österreichischen Insolvenzordnung geregelt sind – etwa das Anfechtungsrecht oder die Pflicht der Unternehmensleitung zur Insolvenzantragstellung. Eine wesentliche Neuerung in der Praxis wird jedenfalls sein, dass Insolvenzverwalter künftig über die Insolvenzgerichte Zugang zu Informationen aus dem Bankkontenregister erhalten sollen, und zwar sowohl aus dem nationalen Register als auch aus jenen anderer Mitgliedstaaten. Das ist derzeit nicht möglich; Insolvenzgerichte haben derzeit keinen Zugriff auf Bankkontenregister. Darüber hinaus sollen Insolvenzverwalter auch direkten Zugriff auf weitere Register der Mitgliedstaaten erhalten. Diese Maßnahmen erleichtern die Auffindung von Vermögenswerten, die zur Insolvenzmasse gehören, erheblich. Von besonderer Bedeutung ist zudem die geplante Einführung des Pre-Pack-Mechanismus.

Die Europäische Kommission erwartet, dass die Harmonisierung des Insolvenzrechts grenzüberschreitende Investitionen fördert – insbesondere in Start-ups – und damit das unternehmerische Potenzial innerhalb der Union besser zur Entfaltung kommt.

Mag. Vanessa Eriksson

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Pre-Pack-Verfahren gelten als wichtiges Instrument für den Erhalt von Unternehmen. Die Richtlinie sieht einen einheitlichen Pre-Pack-Mechanismus für alle EU-Mitgliedstaaten vor. Welche Änderungen erwarten Sie dadurch konkret für das österreichische Insolvenzrecht?

Die österreichische Insolvenzordnung kennt bislang keinen Pre-Pack Mechanismus. Der Vorschlag sieht ein zweiphasiges Verfahren vor, bei dem die erste Phase bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt. In dieser Phase soll der Schuldner mit Unterstützung eines sogenannten Monitors – in der deutschen Fassung des Vorschlags der Kommission heißt dieser Sachwalter – den Verkauf seines Unternehmens vorbereiten. Die zweite Phase beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der zeitnahen Abwicklung des Unternehmensverkaufs. Mit diesem Mechanismus – so heißt es im Text des Rates; die Europäische Kommission und das Europäische Parlament sprechen vom Pre-Pack Verfahren – soll die Unternehmensfortführung unter Erhalt der Arbeitsplätze gesichert sein. Durch die Vorbereitung des Unternehmensverkaufs in der 1. Phase und dessen rasche Umsetzung nach Verfahrenseröffnung soll das Insolvenzverfahren verkürzt und ein erheblicher Wertverlust des Unternehmens vermieden werden.
Nachdem die österreichische Insolvenzordnung einen solchen Mechanismus bislang noch nicht vorsieht, bedarf es entsprechender gesetzlicher Anpassungen.

Was bedeutet die Richtlinie für die Praxis – gerade für jene, die Verfahren abwickeln und Unternehmen begleiten?

Eine besondere Herausforderung stellt zweifellos der Pre-Pack Mechanismus dar. Der Insolvenzverwalter in seiner Rolle als Monitor ist verpflichtet, den Schuldner bei der Vorbereitung des Verkaufs seines Unternehmens zu unterstützen, der Schuldner behält jedoch ausdrücklich die Eigenverwaltung.
Auch wenn bereits in der Praxis Gespräche über einen möglichen Unternehmensverkauf vor Verfahrenseröffnung geführt werden, geht der Pre-Pack Mechanismus weiter, denn Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter – letzterer wird voraussichtlich als Monitor bestellt – sind bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aktiv eingebunden. Eine solche institutionelle Einbindung vor Verfahrenseröffnung ist bislang in der österreichischen Insolvenzordnung nicht vorgesehen.
Durch die frühzeitige Einbindung kennt der Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung und der anschließenden Verlaufsabwicklung das Unternehmen bereits sehr genau. Der rasche Verkauf unmittelbar nach Verfahrenseröffnung erspart dem Insolvenzverwalter zudem eine längere Fortführung des Unternehmens. Dies stellt zweifellos eine Erleichterung sowohl für den Insolvenzverwalter als auch für das gesamte Verfahren dar.

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Eine Harmonisierung beseitigt Rechtsunsicherheiten hinsichtlich des Ausgangs von Insolvenzverfahren und wirkt sich daher grundsätzlich zugunsten der Gläubiger aus.

Mag. Vanesse Eriksson

Inwiefern könnte eine einheitliche Mindestregelung auf EU-Ebene auch Chancen für Gläubiger, etwa Banken oder Unternehmen, eröffnen?

Eine Harmonisierung beseitigt Rechtsunsicherheiten hinsichtlich des Ausgangs von Insolvenzverfahren und wirkt sich daher grundsätzlich zugunsten der Gläubiger aus. Ziel der Richtlinie ist insbesondere auch, den Wert zu maximieren, den Gläubiger aus dem Vermögen des insolventen Schuldners realisieren können. Ein Beispiel dafür ist der harmonisierte grenzüberschreitende Zugriff auf Informationen aus den Bankkontenregister, der die Auffindung von Vermögen erheblich verbessert. Die Insolvenzmasse wird dadurch vergrößert und die Befriedigungsquote der Gläubiger erhöht.

Was sind die Reaktionen oder Positionierungen aus der Praxis oder von Seiten der Politik zur geplanten Harmonisierung?

Die Harmonisierung des Insolvenzrechts wurde zunächst mit großer Skepsis betrachtet. Das Insolvenzrecht stellt in Österreich – wie auch in vielen anderen Mitgliedstaaten auch – ein über viele Jahrzehnte gewachsenes Rechtssystem dar, dessen Wurzeln bis zur Concursordnung 1868 zurückreichen. Eine Harmonisierung auf europäischer Ebene kann daher einen tiefgreifenden Eingriff bedeuten, der mit höchster Sorgfalt und Umsicht vorgenommen werden muss. Im europäischen Vergleich verfügt Österreich über ein sehr gut funktionierendes Insolvenzsystem, das sich insbesondere durch kurze Verfahrensdauern und hohe Befriedigungsquoten für Gläubiger auszeichnet. Diese bewährten Stärken dürfen durch eine Harmonisierung keinesfalls beeinträchtigt werden; das war unser zentrales Anliegen bei den Verhandlungen in Brüssel.

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Vanessa Eriksson

Vanessa Eriksson

Expertin für Insolvenzrecht im Bundesministerium für Justiz, Vorsitzende der Insolvenzrechtsreformkommission und Vertreterin Österreich bei den Ratsarbeitsgruppensitzungen.

Mehr erfahren

Welche 5 Neuerungen bringt die EU-Richtlinie zum Insolvenzrecht?

  • Zugang zu Bankkontenregistern

    Insolvenzverwalter sollen künftig über Gerichte auf nationale und EU-weite Bankkontenregister zugreifen können – das verbessert die Auffindung von Vermögenswerten erheblich.

  • Pre-Pack-Mechanismus

    Einführung eines zweiphasigen Verfahrens zur raschen Unternehmensveräußerung – mit frühzeitiger Einbindung eines „Monitors“ noch vor Verfahrenseröffnung.

  • Direkter Registerzugriff

    Insolvenzverwalter sollen direkten Zugang zu weiteren staatlichen Registern erhalten, um die Masseermittlung zu erleichtern.

  • Mindestregelungen bei Anfechtungen

    Harmonisierung der Anfechtungsregeln, die jedoch in Österreich voraussichtlich keine gravierenden Änderungen erfordern wird.

  • Stärkung der Gläubigerrechte

    Einheitliche Regelungen sollen den Wert der Insolvenzmasse erhöhen und damit die Befriedigungsquote von Gläubigern verbessern.

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